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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Sogar im Mondlicht konnte Lis erkennen, dass sie hellgrau und klar wie Rauchkristall waren. Sie lächelte nicht. Eine alte, schon weiße Narbe teilte ihre Oberlippe.
    Baschir sprach zu ihr in dieser fremden Sprache, die Lis nicht im Entferntesten verstehen konnte, und die Desetnica nickte knapp. Sie bewegte sich nicht, hörte nur zu. Eine seltsame Intensität ging von ihr aus, anders als bei Mokosch, die verschüchtert und verträumt wirkte. Diese zierliche junge Frau dagegen war drahtig und zäh. Sie hatte Narben am Schlüsselbein und grobe, schwielige Hände, die ruhig das lange Fernrohr hielten. Als Baschir die letzten Worte gesprochen hatte, nickte sie mit einer herrischen, knappen Geste und sah Lis an. Baschir drehte sich um und ging ins Lager zurück.
    »Willkommen in meinem Heer«, sagte die Desetnica unvermittelt in der altertümlichen slawischen Sprache. Obwohl sie die Worte mühsam aussprach und sie nicht richtig betonte, konnte Lis sie gut verstehen. Erleichterung ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie würde sich ohne Baschirs Hilfe mit der Kriegerin verständigen können.
    »Danke«, entgegnete sie und räusperte sich. Sie war froh, dass sie sich vor dem Blick dieser Raubvogelaugen hinter der Decke verstecken konnte, die sie fest um den Körper geschlungen hielt. Obwohl sie nicht mehr fror, konnte sie nicht aufhören zu zittern.
    Die Desetnica lächelte zum ersten Mal ein flüchtiges, ernstes Lächeln und wandte sich wieder dem Meer zu. Durch das Fernrohr betrachtete sie den Mauergürtel von Antjana.
    Lis war verwirrt. Sollte sie sie ansprechen? Erwartete die Kriegerin jetzt, dass sie sich vorstellte? Sie holte Luft und trat neben sie. »Ya-saidai«, sagte sie. »Ist das dein sarazenischer Name?«
    Die Desetnica nahm das Fernrohr herunter. »Ich habe viele Namen, aber Ya-saidai gehört nicht dazu. Es ist eine Anrede und bedeutet soviel wie ›Meine Herrin‹.«
    »Dann stimmt es, was der geheime Rat in Antjana sagt. Du bist mit deinem Heer zurückgekehrt, um dir den Platz in der Stadt, die dich verstoßen hat, zu erkämpfen?«
    »Erzählt man das?« Sie sah Lis an. Die Luft zwischen ihnen schien zu knistern.
    Lis wurde sich bewusst, dass die Desetnica niemals viel sprach. Dennoch bohrte sie weiter. »Wie heißt du denn nun?«
    »Viel interessanter ist die Frage, wie du heißt und warum du erst jetzt kommst«, antwortete die zehnte Tochter. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie das Fernrohr in einer Hülse auf ihrem Rücken verschwinden und trat auf Lis zu.
    Lis irritierten ihre schnellen und sicheren Bewegungen. Sie machte keine Umwege. Mit einem Mal tat ihr Fürst Dabog ein wenig Leid. »Ich bin Lisanja«, erklärte sie. »Ich komme aus Antjana. Die Priester haben viele deiner Verbündeten gefangen genommen und mit ihnen meinen Bruder, einen Priester des Gottes Swantewit. Ich und er stammen aus einer Stadt, die Arkona heißt. Sie liegt sehr weit weg von hier. Und morgen… wird mein Bruder sterben, wenn wir ihm nicht helfen!« Sie war sich nicht sicher, ob die Desetnica ihr überhaupt richtig zuhörte, obwohl sie betont langsam gesprochen hatte. Allerdings drohte ihre Stimme bei der Vorstellung der Gefahr, in der Levin schwebte, wieder zu kippen.
    Unvermittelt streckte die Kriegerin die Hand nach Lis’ Feuermal aus. Die Stelle wurde warm und prickelte, und Lis, die erst zurückweichen wollte, blieb unwillkürlich stehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben ließ sie zu, dass jemand ihr Feuermal berührte. Eine seltsame Vertrautheit keimte zwischen ihnen auf. Das Gesicht der Desetnica war ihr so nah, dass sie ihren Atem am Kinn spürte, im Mondlicht erkannte sie die langen Wimpern und den launischen Schwung der Augenbrauen. In einer anderen Welt wäre die verstoßene Fürstentochter zwanzig Jahre alt und fröhlich, sie würde tanzen gehen, Eis essen und einen Freund haben, der abends mit ihr durch die Altstadtgassen spazierte. In einer anderen Welt wäre sie so, wie Lis’ Mutter als junge Frau gewesen sein musste. Paradoxerweise erinnerte die Desetnica Lis an ihre Mutter. Wie in einem Film sah sie ihre Einsamkeit, ihre verlorene Jugend, ihr Leben in München und ihre Ehe, die zu ihrem Kummer zerbrach. Aber die verstoßene Fürstentochter lebte nicht in Lis’ Welt. Sie war eine harte junge Frau, die alles verloren hatte.
    Lis spürte die Schwielen an den Fingerkuppen der Kriegerin, als diese sacht ihr Feuermal befühlte. Behutsam zog sie mit dem Zeigefinger den Umriss des Mals nach. »Das Zeichen Poskurs«,

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