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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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kalten Metalls bekam sie eine Gänsehaut. Die Ärmel waren so lang, dass sie ihr fast bis zu den Fingerspitzen reichten, unten schlugen die Eisenglieder bei jeder Bewegung gegen ihre Knie.
    Baschir runzelte die Stirn. »So kannst du dich nicht bewegen«, stellte er fest. »Wenn die Ketten schwingen, machst du einen Krach wie ein mit Glöckchen behangenes Hochzeitspferd. Ich werde einen Gürtel holen.«
    Lis nickte, ohne viel Hoffnung, dass sie sich dann in dem Kettenhemd besser fühlen würde, und blieb unbeweglich wie eine Vogelscheuche im Zelt stehen. Aus einer Schale stieg Rauch auf, der viel feiner und parfümierter roch als Zlatas Räucherwerk. Die Kleidungsstücke, die Baschir auf einer Truhe abgelegt hatte, dufteten nach Jasmin und einem Hauch von Kamillenseife. Der Boden war mit Teppichen bedeckt, deren ornamentale, verschlungene Muster geheimnisvoll und zerbrechlich schön wirkten. Lis musste sich eingestehen, dass sie es genoss, nach langer Zeit wieder einen Teppich unter den Füßen zu spüren. Für einen luxuriösen Augenblick schloss sie die Augen und stellte sich vor, sie wäre wieder zu Hause.
    Draußen ertönten die Rufe der Sarazenenkrieger, die sich zum Kampf rüsteten. Hufe trappelten über den fest gestampften Boden, Eisen klapperte.
    Seufzend schlug Lis die Augen wieder auf und sah sich weiter um. In der Mitte des Raumes stand ein niedriger Tisch, der ihr kaum bis zu den Knien reichte. Felle und Decken aus reich verziertem Stoff dienten als Sitzgelegenheiten. Auf dem Tisch verstreut lag eine Menge Papier, das mit Symbolen und arabisch anmutenden Schriftzeichen bedeckt war. Eine Zeichnung sah aus wie eine Blume, die aus vielen verschiedenen geometrischen Linien zusammengesetzt war. Verwundert ging Lis näher heran und schaute sich die Zeichnung genauer an. In diesem Augenblick betrat Baschir wieder das Zelt. Als er sah, dass Lis bei den Karten stand, verzog sich sein faltiger Mund zu einem flüchtigen Lächeln. »Du siehst dir die Rahmanis an?«
    »Rahmanis? Ist das eine Art Landkarte?«
    Baschir wiegte den Kopf und zog ein großes Papier näher zu der Öllampe, die das Zelt beleuchtete. »So etwas Ähnliches. Es sind Zeichnungen mit Sonnenstandsangaben. Wir brauchen sie, um uns auf den Meeren zurechtzufinden. Hier, das ist eine Sternenkompassrose.«
    Lis staunte über die filigranen Linien und die kunstvollen Schriftzüge. »Das sieht wirklich aus wie eine Blume. Hast du das gezeichnet?«, fragte sie.
    Baschir nickte.
    »Du bist ein Navigator, nicht wahr? Hast du schon immer zu den Piraten gehört?« Obwohl Baschirs Gesicht unbewegt blieb, wurde Lis bewusst, dass sie etwas Falsches gesagt hatte.
    »Nichts ist für immer«, sagte der alte Mann barsch. Schweigend räumte er die Papiere zusammen und verstaute sie in einer flachen Kiste, die mit Goldintarsien geschmückt war.
    »Wenn ich etwas Falsches gesagt habe, entschuldige ich mich«, sagte Lis. Ihr war mulmig zumute, weil sie Baschir offensichtlich auf ein ungeliebtes Thema angesprochen hatte.
    Er hob die Hände und winkte ab. »Die Vergangenheit kann mich nicht verletzen«, erwiderte er etwas freundlicher. »Ja, ich war Navigator und Kaufmann. Ich besaß zwei große Schiffe.«
    »Solche, wie die Desetnica sie hat?«
    Er runzelte die Stirn. »Du meinst die Sambuq, die schmalen Kampfschiffe? Nein, nein. Ich war kein Krieger, ich war Händler. Meine Schiffe waren groß und dienten nur dazu, Waren über die Meere zu bringen. Ich verkaufte Stoffe und Schmuck, Gewürze und andere Schätze aus fremden Ländern.«
    Wieder machte er eine lange Pause und starrte vor sich hin. Zum ersten Mal sah Lis eine Regung in dem sonst so beherrschten Gesicht. Es war Trauer.
    »Ein Sturm zerstörte meine Schiffe und mit den Schiffen all das, was mir teuer war. Ich hatte zwei Söhne. Beide ertranken und meine Frau starb bald darauf. Nun, ich musste weiterleben, also entschied ich, mir Geld zu leihen.« Er seufzte. »Aber auch das neue Schiff sank und mit ihm all die Reichtümer, die ich von dem geliehenen Geld gekauft hatte.«
    Er rückte in aller Ruhe sein Tuch an den Schläfen zurecht. Lis wagte nichts zu sagen. Sie war betroffen und wünschte sich, sie hätte Baschir nicht nach seinem Leben gefragt. Nun stand sie da und war hilflos im Angesicht seiner Trauer und seines schweren Schicksals.
    »Schließlich«, fuhr er fort, »hatte ich nur noch mein Leben. Es würde zu lange dauern, dir die ganze Geschichte zu erzählen. Nur soviel: Mein weiterer Weg führte mich

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