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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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flüsterte sie und lächelte zum ersten Mal ehrlich und, wie es Lis schien, voll aufrichtiger Freude. »Auf dich habe ich gewartet, seit ich denken kann. Ich habe den beiden Kurieren gesagt, sie sollen mir den Boten bringen, der Poskurs Mal trägt. Den Umriss habe ich ihnen aufgemalt.«
    Lis’ Gedanken wirbelten durcheinander. Schemenhaft erinnerte sie sich an die Landkarte, die der Kurier bei sich getragen hatte. Beinahe hätte sie gelacht, so einfach war die Lösung. Wie so oft in den vergangenen Tagen fühlte sie sich wie jemand, der auf den Schattenriss einer schwarzen Vase starrt, um dann plötzlich zu erkennen, dass er die ganze Zeit die Silhouetten von zwei einander zugewandten Gesichtern nicht erkannt hat. Levin wäre stolz auf mich, ging es ihr durch den Kopf. Ich bin die geborene Meisterin für Fantasy-Adventure-Rätsel. »Deine Botschaft bezog sich also auf mein Feuermal.«
    Die Desetnica nickte und verschränkte die Arme. Im Sternenlicht sah ihr Gesicht älter und härter aus.
    »Und was habe ich mit dir zu tun?«, fragte Lis. »Ich wusste nichts von dir, bis… mein Bruder vor wenigen Tagen dein Abbild gefunden hat. Wir stammen ja nicht einmal aus Antjana.«
    Die Kriegerin schwieg und sah sie nur prüfend an. Lis konnte nicht erkennen, ob diese Frage sie verärgerte.
    »Wenn du willst, erzähle ich dir etwas von meinen Namen«, sagte sie so ruhig, als hätten sie beide alle Zeit der Welt, als würden die Gezeiten warten und Mond und Sonne am Himmel stehen bleiben, wenn sie es wünschte. »Mein erster Name lautete Amat«, begann die Desetnica mit nüchterner, tonloser Stimme. »Das bedeutet in deine Sprache übersetzt soviel wie ›Sklavin‹. Diesen Namen erhielt ich vor sehr langer Zeit, nachdem ein Händler mich aus dem Meer gefischt hatte. Sobald ich wieder bei Kräften und meine von der Sonne verbrannte Haut verheilt war, nahm er mich mit auf den Markt. Ich habe nicht gezählt, wie oft ich verkauft wurde. Meine Herren waren Kaufleute, Weber, Fischer und Bauern. Aber alle brachten mich nach kaum einem Sommer wieder zum Markt, denn ich sah Dinge in ihren Herzen und in ihren Leben, die sie sich nicht einmal in den geheimsten Stunden selbst zu gestehen wagten.« Sie lächelte wieder ihr raubtierhaftes, sparsames Lächeln.
    »Ja, ich bin die Zehnte«, fuhr sie fort. »Und ich habe die Gabe, diese Dinge zu erkennen. Schon als Kind habe ich von dir geträumt. Ich erkannte den Umriss deines Males in der Form einer Pfütze verschütteten Tees. Wenn ich einem kleinen Mädchen in die Augen sah, fühlte ich mich an deinen Blick erinnert. Ich lief vor diesem Bild weit weg. Ich floh vor dir, so wie ich vor den Flammen Poskurs floh und vor Nemejas Armen, die mich an Land getragen hatten, statt mich zu zerschmettern.« Sie machte eine Pause und sah aufs Meer hinaus. Weit draußen am Horizont erahnte Lis die erste Helligkeit, die bald den neuen Tag herbeirufen würde. Ihr Magen krampfte sich zusammen.
    »Schließlich kam ich zu einem Krieger in den Dienst, Wahid. Ich verbannte Poskur aus meinen Gedanken und lernte zu kämpfen. Als ich meinen Herrn vor dem Tod rettete, nannte er mich Sabua, die Löwin, und ließ mich frei. Ich blieb bei ihm und kämpfte viele Jahre an seiner Seite. Wir fuhren gemeinsam über das Meer in ein anderes Land, weit fort zu den Lagern der Sarazenen. So lange führte ich dieses Leben, bis er starb und mir das Geld aus den Beutezügen vermachte. Einige seiner Krieger versuchten mich zu töten, um mich zu berauben, aber Baschir durchschaute ihren Plan und rettete mein Leben. Ich wusste um mein Schicksal, also versprach ich meinen Hauptleuten Jishaar, Chalid und Aladar die Schätze der antjanischen Priester und kaufte mir noch dreihundert Söldner, um mein Heer zu vergrößern. Seitdem nenne ich mich Intisar – so lautet in dem Land, in dem ich das erste Mal als Sklavin verkauft wurde, das Wort für Sieg.«
    »Und der Gedanke an Rache lässt dich nicht los«, sagte Lis.
    »Nicht Rache – mein Schicksal«, antwortete Intisar. »So wie dein Schicksal dich mit dem Mal Poskurs gezeichnet und als Leitstern zu mir geschickt hat.«
    »Als Leitstern?«
    »Du bist mein Schlüssel zur Stadt«, erwiderte die Desetnica. »Ohne dich kann ich nicht siegen. Ich werde meine Männer nicht gegen eine Stadtmauer anrennen lassen. Aber es gibt Wege wie in einem hohlen Apfel, durch die wir in die Stadt kommen. Meine Träume sagen mir, dass die Wege der Kuriere zwar nun verschlossen sind. Aber du kennst noch den

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