Die Rückkehr der Zehnten
einen Befehl zum Angriff gehört, stürmten zehn antjanische Kämpfer in den Raum. Waren die Bogenschützen nur junge Männer gewesen, waren das hier alte erfahrene Kampfstiere mit riesigen Schwertern. Drei von ihnen trugen keine Kampfmasken, sondern eine schwarz-rote Kriegsbemalung auf Wangen und Stirn. In einem der Angreifer erkannte Lis Fürst Dabogs Schwiegersohn Woloss und in einem anderen Fürst Dabog, der wie festgefroren stehen blieb. Ungläubig starrten sie nun an Mokosch vorbei, die immer noch mit ausgebreiteten Armen in der Mitte des Raumes stand.
Dabogs Gesicht wurde weiß, als er in der hellhaarigen Zwillingsgestalt seiner dritten Tochter die gefürchtete und verhasste Desetnica erkannte.
»Mokosch, aus dem Weg!«, schrie Intisar.
»Nein!«, rief Mokosch mit einer Stimme, die Lis wie ein vereistes Messer traf. »Er wird dich töten!«
Lis sprang vor und zerrte die Fürstentochter von den Kriegern weg. Ein Schlag von Mokoschs Hand brannte an ihrer Schläfe, doch sie packte die Fürstentochter, die sich mit allen Kräften wehrte, kurzerhand an den Armen und zwang sie – selbst staunend über ihre Kraft – aus der Reichweite der Waffen.
Dabog und Intisar musterten sich lange. Die Krieger verharrten stumm und ratlos. Die Spannung ließ die Luft flimmern. Woloss spielte nervös an seinem Schwertgriff, er atmete flach, als sähe er einen Dämon vor sich, aber er wagte nicht, sich ohne einen Befehl von Dabog zu rühren. Lis verachtete ihn, sie wusste nicht warum.
»Tötet sie«, sagte Dabog tonlos.
»Nein!«, schrie Marzana ihn an.
Dann brach die Hölle los.
Lis schubste Mokosch hinter eine der schweren Truhen und kauerte sich neben sie. Mit hektischen Fingern tastete sie nach der Kurzaxt, fluchte, als sie sich an der Schneide schnitt, und zerrte die Waffe schließlich aus ihrem Gürtel.
Metall klirrte auf Metall, Schmerzensschreie und Kampfgebrüll hallten im Raum. Aladar und die Desetnica kämpften Rücken an Rücken.
Sie haben keine Chance!, schrie es in Lis’ Kopf. Es sind immer noch vier gegen zehn. Dabogs Krieger werden die Desetnica töten, und das wird auch das Ende von Levin sein.
Fürst Dabog hatte sich zur Tür des Raumes zurückgezogen. Düster verfolgte er den Kampf. Sein Schwert hing in seiner schlaffen Hand. Er sah so hasserfüllt aus, als wollte er die zehnte Tochter mit seinem Blick vergiften.
Lis krampfte ihre Hand um den Griff der Kurzaxt und sprang auf. Einer von Dabogs Kriegern konnte gerade noch den Schild hochreißen, an dem das Beil abprallte. Lis’ Handgelenk schmerzte. Reflexartig duckte sie sich, als sein Schwert auf sie niedersauste, und tauchte unter den wirbelnden Waffen weg. Ein Arm legte sich um ihre Kehle. Zu ihrer Überraschung hörte sie Marzanas Stimme an ihrem Ohr. »Verdammt Lisanja! Halt dich da raus!«
Schon wurde sie von der großen Frau aus dem Kampffeld geschleudert und schlug so heftig gegen die Wand unter dem Fenster, dass ihr der Atem schmerzhaft aus den Lungen gepresst wurde. Im gleißend hellen Sonnenlicht erkannte sie, dass Marzana gegen ihren Schwager kämpfte, und blinzelte ungläubig. Mit erhobenen Schwertern umtanzten sie einander, führten zaghafte Hiebe aus, ließen dem Gegner Zeit, zurückzuspringen, beide darauf bedacht, sich nicht zu töten. Es war grotesk.
Mit einem Klirren prallte etwas gegen die Steinwand am Fenster. Lis, die langsam wieder Luft bekam, sah nach oben. Ein Anker mit drei Spitzen, an dem ein Seil befestigt war, baumelte über ihr. Der Anker ruckelte, doch er verfing sich nicht, sondern drohte wieder über den Sims zu rutschen. So unauffällig wie möglich tastete sich Lis nach oben und griff nach dem schartigen Eisen. Vorsichtig, aber mit Nachdruck, zog sie dreimal daran. Der Sarazene, der den Anker vom Fuß der Stadtmauer aus hochgeworfen hatte, verstand offenbar, denn er ließ das Seil sofort nach. Rasch holte sie mehrere Annlängen von dem Seil ein und schlang es um einen der Steinpfeiler neben dem Fenster. Schließlich ruckte sie wieder einige Male kräftig daran und ließ es los. Wenige Augenblicke später straffte sich das Kletterseil, knirschend verkeilte sich der Haken im Stein.
Nach einem Schlag, den Marzana ihm mit der flachen Klinge verpasst hatte, ging Woloss neben Lis zu Boden. Marzana stieß ihn aus dem Kampfkreis und griff einen von Dabogs Kriegern an. Woloss rührte sich nicht, aber am Flattern seiner Lider erkannte Lis, dass er nur bewusstlos war. Marzana zuliebe packte sie ihn bei den Schultern und
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