Die Rückkehr der Zehnten
reißen. Staub wirbelte hoch und der Geruch nach trockenem Pinienholz stieg ihr in die Nase. Mit ihrem ganzen Leib spürte sie die Vibrationen der stampfenden Schritte, wenn die Körper im Kampf aufeinander prallten. Sie fühlte schmerzhaft jeden Schlag mit der Axt, der sein Ziel verfehlte und stattdessen das Eisen in den Boden trieb. Jeder Kampfschrei dröhnte in ihrem Zwerchfell wie ein tiefer Bass.
Ein Fuß stampfte vor ihr auf dem Boden auf. Als Lis den Kopf hob, sah sie Aladar mit dem größten von Dabogs Kriegern kämpfen. Er hatte dem Sarazenen den Arm um die Kehle gelegt und tastete nach seinem Kupfermesser, das am Gürtel befestigt war. Seine Maske war verrutscht. Verschwitztes blondes Haar und der Teil einer narbigen Wange sahen hervor.
Lis war es, als würde das Schicksal sie mit diesem Bild verhöhnen. Hier gibt es keine Pausen- und keine Rückspultaste, dachte sie den unsinnigsten aller Gedanken. Gleich würde Aladar sterben, wenn sie nichts unternahm.
Bevor Dabogs Krieger sein Messer erreichte, sprang Lis auf und stürzte sich mit einem kehligen Schrei von hinten auf ihn, riss ihm das Messer aus dem Gürtel und stach ihm in den Oberarm. Die Wunde war nicht tief, aber es genügte, um ihn abzulenken. Er brüllte vor Wut auf. Die Kupferfratze wandte sich ihr zu und war mit einem Mal so nah, dass sie erschrocken einen Satz zurück machte und stolperte. Aladar nutzte die Sekunde der Ablenkung, wand sich aus der gelockerten Umklammerung des Kämpfers und drehte sich um.
»Das Messer!«, schrie Lis und warf ihm die Waffe zu. Sie blitzte gefährlich auf und drehte sich zweimal im Sonnenlicht, bis Aladar sie fing.
»Zurück!«, schrie Intisar und drängte Lis mit einem Hieb gegen die Brust, der ihr den Atem nahm, in die Ecke des Zimmers.
Etwas flirrte an ihrer Schläfe vorbei, es hörte sich sehr scharf an und prallte mit einem metallischen Klirren von der Wand ab. Lis sah einen wirbelnden Sarazenenmantel, hörte einen röchelnden Schrei, dann war es im Zimmer plötzlich still. Dabogs Krieger lagen am Boden. Blut suchte sich seinen Weg durch die Ritzen im Holzboden. Eine verbogene Kupfermaske schaukelte noch einige Male vor Lis’ Füßen hin und her, bis sie schließlich zur Ruhe kam.
Intisar hob sie auf und rannte zum Fenster. Sie fluchte, als ein Sarazenenpfeil an ihr vorbeizischte, aber sie ging nicht in Deckung, sondern stellte sich im Fenster auf, die Maske hoch erhoben, und schrie etwas zum Strand, was unmissverständlich ein Befehl war. Mokosch zuckte zusammen. Hunderte von triumphierenden Stimmen antworteten von unten mit einem dröhnenden »Intisar!«.
Die Desetnica lächelte ihr kaltes Lächeln und warf die Maske ins Meer. Mit wenigen Schritten war sie bei Mokosch und packte sie an der Schulter. »Wo ist Fürst Dabog?«, fragte sie. »Hält er sich versteckt?«
Mokosch sah sie mit großen Augen an. »Bei Sonnenaufgang war er mit den Kriegern beim Haus der Priester. Er hat bei den Scheiterhaufen gebetet. Niam befiehlt nun dem Heer.«
Ein spöttisches Lächeln spielte um Intisars Mund. »Natürlich«, sagte sie bitter.
»Mokosch!« Der Schrei ließ sie alle herumfahren. Intisar, Jishaar und Aladar – alle zückten sie gleichzeitig ihre Waffen.
»Nein!«, rief Mokosch und hielt ihre Schwester am Arm zurück.
In diesem Augenblick erschien eine Kriegerin mit wildem Haar und schwarzen Wangen in der Tür. Der scharfe Geruch von Rauch zog durch den Raum. Die große Frau keuchte vor Anstrengung. »Mokosch, die Sarazenen sind in der Stadt. Steh auf, wir müssen…« Erst jetzt sah Marzana die Sarazenen. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. »Was zum…«, brüllte sie und hob ihr Schwert.
»Nein!« Mokoschs Stimme zerschnitt die Luft. Wie ein lebendes Schutzschild sprang sie zwischen Marzana und die Sarazenen und wandte sich an Intisar. »Du darfst sie nicht töten, sie ist unsere Schwester!«, flehte sie.
In Marzanas Miene flackerte Unglauben auf, dann sah sie die junge Kriegerin genauer an. Ihr breites Gesicht schien sich aufzulösen, rutschte in sich zusammen, bis Marzana nur noch ein ungläubig staunendes, dickes Mädchen war. »Du bist… die Desetnica?«, fragte sie und senkte ihr Schwert, bis die Spitze mit einem hässlichen Geräusch über den Boden kratzte.
Intisar nickte. Lis schien es, dass sie ebenso benommen und unschlüssig war wie Marzana.
»Ihr habt keine Chance«, sagte Marzana nun ausdruckslos. »Dabogs Krieger sind bereits hier.«
Als hätten sie ihre Worte wie
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