Die Rückkehr Des Bösen
seinen Freund an. Ihre Blicke trafen sich, wenn auch nur für einen Wimpernschlag. „Ich muss dich das fragen, Tony. Was verschweigst du denen?“
Nick hatte mit allem gerechnet, mit Ausflüchten oder mit Beschimpfungen, dass er doch nicht alle Tassen im Schrank habe. Aber Tony sagte nur: „Darf ich dir nicht sagen, Nick.“ Dann wandte er sich abrupt ab und starrte aufs Neue aus dem Seitenfenster.
20. KAPITEL
Omaha, Nebraska
Gibson hatte gar nicht mitbekommen, dass er schon seit Stunden vor seinem Laptop saß. Das Spiel hatte begonnen und war längst zu Ende, und er hatte die ganze Zeit auf den Bildschirm gestarrt, aber nicht teilgenommen. Es war das erste Mal, dass er nicht mitgespielt hatte.
Er hörte, wie unten die Haustür ins Schloss fiel, und sah auf die Zeitanzeige in der Taskleiste. 17:25 Uhr, fast halb sechs! Mom würde stinksauer sein und ihm Vorträge halten, dass er sich nicht dauernd in seiner Bude verschanzen solle. Dass er sonst zum Eigenbrötler würde wie Emily Dickinson und einmal sterben werde, ohne dass ihn je einer richtig gekannt habe. Zur Zeit musste gerade die arme, alte Emily herhalten, weil im Literaturkurs des Sommerkollegs, das seine Mom besuchte, tote Dichter durchgenommen wurden. Vor ein paar Wochen noch war ein vierzehnjähriger palästinensischer Selbstmordattentäter dran gewesen. Nach Aussage der gramgebeugten Eltern ein eher schweigsamer Junge, klug und in sich gekehrt – bis er mit einem Sprengstoffgürtel am Leib in ein israelisches Cafe marschierte, sich dort in die Luft sprengte und fünfzehn unschuldige Gäste mit in den Tod riss. Im Schnitt kam seine Mom etwa alle vierzehn Tage mit einem neuen schlechten Vorbild um die Ecke.
Als sein Vater nochlebte, dawar sie ganz anders gewesen. Jetzt regte sie sich über jede Kleinigkeit auf, wegen jedem Blödsinn. Sie war so nervös und verkrampft, dass sie nie eine Entscheidung treffen konnte und in einer Tour flennte, inzwischen vielleicht nicht mehr ganz so schlimm wie am Anfang. Seit sie das Mittel gegen Depression nahm.
Zu Lebzeiten seines Vaters, das wusste Gibson genau, da hatte sie nie geheult. Vielleicht lag das an der Art, mit der Dad ihnen allen Geborgenheit zu vermitteln verstand. Solange er da war, brauchte man keine Angst zu haben. Er passte schon auf. Er war der stärkste und selbstbewussteste ... ach was, der beste Mensch, den Gibson jemals gekannt hatte.
Und dieser Meinung war er nicht etwa deshalb, weil sein Dad seine platten Fahrradreifen nickte oder sich nicht gescheut hatte, Gibsons faschistoidem Englischlehrer beizubiegen, sie, die Schüler, brauchten mehr Zeit bei den Klassenarbeiten. Nein, es war einfach, dass man sich in seiner Nähe keine Sorgen machen musste. Schlicht und einfach das Gefühl, glücklich zu sein – etwas, das Gibson seit langem vermisste.
Denn eines Tages war seinem Dad nichts Besseres eingefallen, als einem besoffenen Autofahrer vor die Karre zulaufen und sich totfahren zu lassen. Das war der Moment, in dem Monsignore O’Sullivan damit anfing, Gibson in sein Dienstzimmer zu bestellen, immer unter dem Vorwand, er mache sich seinetwegen Sorgen und wolle sich bloß überzeugen, dass auch alles in Ordnung sei mit ihm. Danach musste Gibson mit ihm beten. Zusammen leierten sie das Vaterunser runter, und hinterher blubberte der Monsignore ihm vor, wie sehr er ihm am Herzen liege. Dabei kam er ihm so nahe, dass Gibson seine Alkoholfahne riechen konnte, und begrabbelte ihm den Hals und die Schultern und später dann nicht nur das. Beim ersten Mal hatte Gibson gar nicht gerafft, wie ihm überhaupt geschah.
Er schüttelte den Kopf und stieß sich von seinem Schreibtisch ab. Er wollte nicht mehr an die Sache denken. Das Ganze war schlicht eine Sauerei gewesen, egal, was der Schweinepriester laberte. So etwas gehörte sich nicht! Und das wusste der Drecksack auch! Warum sonst hätte er Gibson dazu verdonnert, bloß keiner Menschenseele etwas zu sagen? Aber selbst, wenn er es gewagt hätte – an wen hätte er sich denn wenden sollen? Wer hätte ihm geglaubt? Niemand. Bis dann der „SinEater“ aufgetaucht war.
Das Bersten von Feuerwerkskörpern drang an sein Ohr. Offenbar ballerte da jemand Knallfrösche in der Gegend ab, irgendwo weiter unten, am Ende der Straße. Tyler und dessen Freunde vielleicht. Fast hätte Gibson vergessen, dass morgen der 4. Juli war! Früher war das immer sein Lieblingsfeiertag gewesen. Jetzt verband er den Unabhängigkeitstag lediglich mit Lärm, der ihn nur noch
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