musste sie vor ihrem Mann verbergen, sonst hätte er ihr auch noch das genommen. An dem Tag, an dem sie ihren Sohn eingeweiht und in das Teeritual eingeführt hatte, da hatte er gespürt, dass etwas sie auf ewig verband. Es war für sie beide ein ganz besonderer Hochgenuss gewesen, ein ganz besonderer Augenblick der Gemeinsamkeit. Möglich, dass seine Teestunden deshalb so beruhigend und Trost spendend auf ihn wirkten. Sie waren zu einem Anlass geworden, bei dem er jene schönen Erinnerungen an die Vergangenheit heraufbeschwören konnte.
Er schaute zur Uhr und brachte die Tasse hinüber zu dem Holztisch, auf dem sein Laptop stand. Mit dem Kauf des Computers hatte er sich einen gewaltigen Luxus erlaubt, der ihm noch immer Gewissensbisse bereitete. Zugleich aber war der Rechner auch ein Geschenk des Himmels. Er stellte seine einzige Verbindung zur Außenwelt dar, zur Zivilisation, und oftmals hatte ihn nur ein Tastendruck davor bewahrt, den Verstand zu verlieren. In jedem Dorf fanden sich wahre Zauberkünstler, denen es gelang, eine Internetverbindung herzustellen, solange es nur eine Telefonleitung in der Nähe gab. Leider dauerte das Einwählen immer eine halbe Ewigkeit.
„Sie haben eine neue Nachricht“, verkündete die Computerstimme – ein Hinweis, der beinahe so tröstlich wirkte wie der Tee. Kein Zweifel, das musste sein Freund in den USA sein, der Einzige, dem er seine E-Mail-Adresse mitgeteilt hatte. Obwohl sie bisher nur wenige persönliche Informationen ausgetauscht hatten, waren sie doch so weit gekommen, eine Reihe von tief schürfenden Diskussionen über aktuelle Ereignisse und moralische Fragen zu führen. Sein Internetbekannter war der erste Mensch seit Jahren, wenn nicht überhaupt, der einem Freund am nächsten kam.
Er klickte auf „Posteingang“. Richtig, er war es tatsächlich, und seine E-Mail-Adresse brachte Vater Michael wie stets zum Schmunzeln:
[email protected] . Auf die üblichen Begrüßungsfloskeln hatten sie bereits vor geraumer Zeit verzichtet, was ihm nur recht war, denn so konnte man gleich zur Sache kommen, sich auf das Wesentliche konzentrieren. Die eingetroffene Mail enthielt zwei Links, offenbar Hinweise auf Zeitungsartikel. So hatte sein Freund ihn schon häufiger auf etwas aufmerksam gemacht, das ihm aufgefallen war und worüber dann eine neue Diskussion begann. Unter den Links stand nur eine einzige Zeile.
BIST DU DER NÄCHSTE?
Er klickte den ersten Link an und lehnte sich zurück, um auf das Laden der Seite zu warten. Als sie sich endlich aufgebaut hatte, blieb Vater Keller fast das Herz stehen. Er starrte auf die Schlagzeile über dem Zeitungsartikel vor sich auf dem Bildschirm. Monsignore auf Flughafentoilette in Omaha erstochen.
27. KAPITEL
Universität von New Haven, Connecticut
Als Professor Adam Bonzado den Schädel mit den Fingerspitzen aufnahm und behutsam begutachtete, als mustere er eine archäologische Kostbarkeit, fielenMaggie wieder seine kräftigen Finger auf. Sie waren lang wie die eines Pianisten und wirkten geradezu sanft, als sie vorsichtig die Fleischfetzen an dem Knochen betasteten. Sie erinnerte sich daran, wie Gwen unlängst gefrotzelt hatte, Bonzado würde doch perfekt zu ihr passen, da das Böse ihn ebenso in den Bann zog wie sie.
„Ich weiß, sie geben nicht viel her“, sagte Racine. „Aber mehr haben wir leider nicht zu bieten.“ Sie hatte den metallenen Kühlbehälter auf einen der Tische gestellt, an denen gewöhnlich die Medizinstudenten saßen, und es dem Professor überlassen, ihn zu öffnen. Maggie fragte sich, ob das eher aus Respekt geschehen war oder nicht vielmehr, weil sie nicht sonderlich scharf auf das Hantieren mit menschlichen Köpfen war, egal, ob ihnen Maden aus den Öffnungen quollen oder nicht.
„Das ist noch gar nichts gegen das, was wir hier sonst manchmal auf den Tisch kriegen“, versicherte Bonzado, wobei er den Schädel zwischen seinen Fingern hin und her drehte und von allen Seiten betrachtete. „Das Lehren macht mir zwar Spaß, aber so etwas hier interessiert mich bei weitem mehr. Und es bietet mir zudem noch die Gelegenheit, die Gesellschaft zweier attraktiver Damen zu genießen.“
Maggie schien es, als würde Racine erröten, aber sie wandte den Blick ab, um Bonzado zu beobachten. Ob sie wohl ein Auge auf ihn geworfen hatte? Schon lange bevor sie versucht hatte, sie anzumachen, waren Maggie Gerüchte zu Ohren gekommen, Julia Racine sei bisexuell. Trotzdem war Maggie völlig verdattert gewesen. Sie