Die Rückkehr Des Bösen
Bekannter diese Artikel gemailt hatte. Und dazu noch mit dem Vermerk, er sei womöglich als Nächster dran? Wieso wähnte er ihn in Gefahr, hatte sich Keller gefragt. Wusste sein „Freund“ von der Halloweenmaske? War er es womöglich sogar, der sie ihm geschickt hatte? Als Warnung, und nicht etwa, wie er ursprünglich gehofft hatte, als Jux?
Er hatte eine E-Mail zurückgeschickt, die nur aus einer Frage bestand:
WIESO GLAUBST DU, ICH KÖNNE DER NÄCHSTE SEIN?
Erst vorhin war die Antwort gekommen. Sie hatte ihn förmlich umgehauen, wie ein Schuss mitten ins Herz.
WEIL ICH SIE HINGERICHTET HABE. UND DU STEHST EBENFALLS A UF DER LISTE.
An der E-Mail hatte eine Datei gehangen, besagte Liste, und siehe da, er fand seinen Namen tatsächlich darauf! Direkt unter dem von Monsignore O’Sullivan!
Nur langsam ebbte das dumpfe Hämmern in seinen Schläfen, das ihn schier zum Wahnsinn trieb, ab und mündete in einen anhaltenden Kopfschmerz. Er hatte sich dennoch zur Konzentration gezwungen und im Internet nach Informationen über den uralten Brauch des Sündenfressens gesucht. Viel hatte er allerdings nicht gefunden. „Nach alter Überlieferung unterhielt jedes Dorf einen eigenen Sündenfresser, der am Rande des Ortes ein zurückgezogenes Dasein fristete“, war etwa aus einer Website zu erfahren.
Eine andere Seite war schon etwas ergiebiger gewesen. „Der Sündenfresser kam nach Einbruch der Dunkelheit, wenn die Trauernden von der Seite des Toten gewichen waren“, hieß es da. „Dann aß er das Brot, das man auf der Brust des Verstorbenen hinterlassen hatte, und erlöste ihn somit von seinen Sünden, indem er die Vergehen verspeiste und in seine Seele aufnahm.“ Schon früh habe die katholische Kirche diese Praxis als „ketzerisch“ verfolgt, insbesondere dann, wenn einem Sünder die Absolution erteilt wurde, nachdem ihm die heiligen Sakramente verweigert worden waren, weil er eine „unverzeihliche Sünde“ begangen hatte. Dazu zählten etwa „Selbsttötung oder die Ermordung von kirchlichen Würdenträgern“.
Vater Keller wischte sich mit dem Ärmel seines weißen Oberhemds den Schweiß von der Stirn. Als das nicht reichte, zerrte er sich die Hemdschöße aus dem Hosenbund und fuhr sich damit noch einmal durchs Gesicht. Dennoch war ihm, als breche ihm der Schweiß in Sturzbächen aus sämtlichen Poren. Die Kopfschmerzen wollten einfach nicht nachlassen, ein unablässiges Dröhnen, das hohl in seinem Schädel widerhallte.
Er war völlig erschöpft. Der Schock hatte ihn ausgelaugt. Selbst von seinem Tee, dem sonst so wunderbar tröstlichen Tee, wurde ihm nur noch übel. Plötzlich starrte er die dampfende Teetasse an, als sähe er sie erstmals als das, was sie ja möglicherweise war: als Judasbecher. Konnte das sein? Hatte sein Freund – ach, was, von wegen Freund! – hatte dieser Mistkerl ihm da, als er ihm jenes wunderbare Geschenk gemacht hatte, etwa etwas Vergiftetes untergejubelt?
Er versuchte, sich zu erinnern, wann das mit seiner Übelkeit angefangen hatte. War das nicht, nachdem er das Paket erhalten hatte? War das der Plan? Ihn zu vergiften? Oder sollte er nur geschwächt werden, damit er nicht weg, nicht fliehen konnte und dem „SinEater“ hilflos ausgeliefert sein würde, wenn der kam, um ihm den Rest zu geben?
Mit dem Handrücken schlug er die Tasse von dem wackeligen Holztisch. Sie prallte gegen die Wand und zerbrach. So war das also, sein vermeintlicher Freund wollte sein Spielchen mit ihm treiben!
Er zog seinen Stuhl vor den Computer, setzte sich an die Tastatur und schrieb:
DU HAST DEN TEE VERGIFTET
Dann klickte er auf „senden“ und lehnte sich zurück.
Gewöhnlich dauerte es Stunden, bis eine Antwort erfolgte. Doch heute schien der „SinEater“ förmlich auf Kellers Mail gewartet zu haben. Binnen Minuten kam die Antwort.
JA, MIT EISEN HUT DA ICH DICH NICHT PERSÖNLICH AN ORT UND STELLE UMBRINGEN KANN, SOLLST DU EINES LANGSAMEN UND QUALVOLLEN TODES STERBEN.
Warum? Wie konnte er das tun? Todesangst fraß sich durch Kellers Eingeweide. Oder war es das Gift? Verrichtete das bereits sein tödliches Werk? War es etwa bereits zu spät?
Er schloss seine Mailbox und begann im Internet nach Informationen über die ermordeten Geistlichen zu suchen. Irgendetwas musste es doch geben. Irgendwelche brauchbaren Hinweise. Da hatte jemand seinen Namen auf eine Abschussliste gesetzt. Und wer das war, das würde er herausbekommen, das schwor er sich!
Dieser „SinEater“ hatte ihm ein
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