Die Rueckkehr des Daemons
nicht sauer. Ich bin sogar froh, dass ich jetzt endlich Gewissheit habe– und du auch. Es wäre zu einfach zu glauben, dass der Unfall irgendwie mein Gehör verbessert hat. Da steckt mehr dahinter. Und in diesem Paket hier werde ich Antworten finden!«
Er spürte Rascals Hand auf seinem Arm. Es war das beste Gefühl seit langer, langer Zeit.
»Sid, du machst mir Angst!«, flüsterte sie.
»Mir mache ich auch Angst«, antwortete er. »Der Unterschied ist nur, du kannst mich jederzeit verlassen. Ich nicht.«
Rascal schnaubte. Ihr Atem streichelte Sids Wange.
»Dann mach’s endlich auf!«
Sid drehte das Paket um. Verwundert stellte er fest, dass auch die Rückseite mit derselben schwarzen Tinte beschrieben war.
To the
New York Sun
József Pulitzer
»Eine Adresse!«, kombinierte Rascal. »Ob das der Pulitzer ist, der den berühmten Journalistenpreis vergibt?«
Sid schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Der muss doch schon hundert Jahre unter der Erde sein.«
Ungeduldig zerbiss er die dünnen Hanfseile und wickelte vorsichtig den Inhalt aus dem Papier. Zum Vorschein kamen zwei Dinge. Ein ledergebundenes Notizbuch. Und ein mit Wachs versiegelter Brief.
»Ist ja irre!«, stöhnte Rascal. »Wo hast du das Paket eigentlich her?«
Sid verzog das Gesicht. »Aus so einem seltsamen Laden in der 7th Street West.«
Rascal lachte schallend. Als sich einige Tempelbesucher zu ihr umdrehten, hielt sie sich die Hand vor den Mund. »Du bist mir ein Witzbold«, antwortete sie kichernd. »Im Westteil gibt es doch gar keine 7th Street. Das weiß doch jedes Kind!«
»Aber… so war’s«, stammelte Sid verstört. Mit zitternden Händen öffnete er den Umschlag.
38. Kapitel
New York, 6. Juli 1876
Lieber József!
Zu Recht hast du dich beschwert. In l etzter Zeit wirk t e ich so abwesend.
Meine Artikel waren nicht mehr so b ildhaft, dass sie dem Leser im Gedäc h tnis bleiben. Aber ich hatte einen Grund: Angst. Z e hn Jahre habe ich gebraucht, um in e inen kleinen, aber gefäh r lichen Zirkel aufgenommen zu werden. Er nennt sich Seth-Kult. Seine Anhänger be t en Seth an, den altägyptischen Gott des Chaos und Verderbens. Seit zehn Monaten bin ich Wesir, der zweithöchste Rang des Kultes. Ich kann töten, ohne me y ne Hände schmutzig zu machen. Ich habe alles vom Rüden gelernt, der über mir steht. Aber ich weiß nicht, w er er ist.
Der Kult best e ht seit 15.00 0 Jahren. Ich weiß, lieber Jószef, es hört sich unglaublich a n , aber alles dreht sich um ein Herz. Das Herz einer Mumie. Es ist 15.00 0 Jahre a l t und es schlägt noch immer. Es hat fünf Kammern.
Die Mitgl i eder des Zirkels haben nur ein Ziel: das Mumienherz zu finden. O hne seine Hilfe kann der Dämon nicht wiedererweckt werden. Er schlumme r t im Verbor g enen. Aber auch jetzt ist ihre Macht schon groß. H eute befindet sich das Zentrum des Kultes hier in New York, in den Kellern von Barnum’s Hippodrome.
Meine Erkenn t nisse sind die Story des Jahrhunderts! Sie werden dich weltb e rühmt machen! Noch i n 10 0 Jahren wird jedes Kind deinen Namen kennen. Für m i ch aber wird der Ruhm zu spät kommen. Ich fürchte, dass meine Tarnung aufgefloge n ist. Deshalb wähle ich diesen ungewöhn l ichen Weg, dir die Er g ebnisse meiner Recherche mitzuteilen. Ich werde verfolgt. D u kannst mir auch nicht mehr helfen. Keiner kann das.
– Seite 2 –
Vor einer Woche habe ich mehrere Personen mit fehlendem Schneidezahn gesehen. Es ist das Erkennungszeichen der Mysten, wie sich die Mitglieder des Kultes nennen. Bei ihrer Einführung in den Kult wird der Zahn herausgeschlagen und Seth als Pfand hinterlassen.
Ich will dich nicht in Gefahr bringen, lieber József. Gleich gebe ich 99 weitere Umschläge an andere Adressaten beim Postamt in Auftrag. Niemand wird herausfinden, dass du das richtige Paket bekommen hast. In meinem Notizbuch wirst du alles finden, was ich herausbekommen habe. Ziehe die richtigen Schlüsse daraus und finde das Herz vor dem Rüden, dem Hohepriester des Kultes.
Ich habe dir genau beschrieben, wo du es finden kannst. Du musst dem Kult das schmutzige Handwerk legen. Sonst wird Schreckliches geschehen. Mit Zaubersprüchen können sie jeden Menschen manipulieren. Die fürchterlichste Waffe ist der Atem des Rüden. Ich habe einmal gesehen, was er bewirkt. Es lässt mich keine Nacht mehr schlafen. Deshalb ziehe ich vor, mein Leben selbst zu beenden. Dieser Brief hier wird meine vorletzte Tat sein.
Sorge für einen schönen Abgang von mir: anbei eine
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