Die Rückkehr des Drachen
daß sie halb soviel Energie lenken könne wie zehn fertige Aes Sedai mit Hilfe eines Sa'Angreal. Ihre Stimme wurde noch leiser: »Licht, hilf mir, ich möchte so gern.«
Sie schwieg mit einem Mal wieder. Hatte sie damit gemeint, sie wolle Mat helfen, oder wollte sie nur den Strom der Macht in sich fühlen? Egwene spürte diesen Drang ebenfalls. Es war wie ein Lied, das sie zum Tanzen verführte. »Wir müssen ihnen vertrauen«, flüsterte Nynaeve schließlich eindringlich. »Er hat sonst keine Chance.«
Plötzlich schrie Mat mit mächtiger Stimme: »Muad'drin tia dar allende caba'drin rhadiem!« Sich aufbäumend und gegen den Strom der Macht ankämpfend, schrie er mit geschlossenen Augen: »›Los Valdar Cuebiyari! Los! Carai an Caldazar! Al Caldazar!«
Egwene runzelte die Stirn. Sie hatte genug gelernt, um darin die Alte Sprache zu erkennen, aber sie verstand nicht mehr als ein paar Worte. Carai an Caldazar! Al Caldazar! ›Zur Ehre des Roten Adlers! Für den Roten Adler!‹ Das waren alte Kampfgesänge aus Manetheren, einem Land, das während der Trolloc-Kriege untergegangen war. Ein Land, das sich dort befunden hatte, wo jetzt die Zwei Flüsse lagen. Soviel wußte sie. Doch einen Augenblick lang schien es ihr, als müsse sie auch den Rest verstehen, als liege die Bedeutung knapp außerhalb ihres Gesichtsfeldes, als müsse sie lediglich den Kopf wenden, um alles zu verstehen.
Mit einem lauten Knall barst das Leder, und der Dolch in seiner goldenen Scheide schwebte von Mats Gürtel hoch. Er hing einen Fuß über seinem verkrampften Körper in der Luft. Der Rubin strahlte und schien beinahe feuerrote Funken zu versprühen, als ob auch er gegen die Heilung ankämpfe.
Mat öffnete die Augen und er funkelte die Frauen an, die um ihn herum standen. »Mia ayende, Aes Sedai! Caballein misain ye! Inde muagdhe Aes Sedai misain ye! Mia ayende!« Und er begann zu schreien. Dieser Aufschrei der Wut wollte fast nicht mehr aufhören, bis Egwene sich fragte, woher er die Luft dazu nahm.
Hastig beugte sich Anaiya hinunter und zog einen Kasten aus dunklem Metall unter dem Tisch hervor. Ihren Bewegungen nach zu schließen war er schwer. Als sie ihn neben Mat stellte und den Deckel öffnete, sah Egwene, daß innen nur sehr wenig Platz war, denn die Wände waren mehr als drei Finger dick. Wieder bückte sich Anaiya und hob eine Küchenzange auf. Damit packte sie den schwebenden Dolch so vorsichtig, als sei er eine Giftschlange.
Mats Schreie klangen nun immer verzweifelter. Der Rubin strahlte blutrot.
Die Aes Sedai drückte den Dolch in den Kasten hinein und klappte schnell den Deckel zu. Sie seufzte erleichtert, als das Schloß hörbar einschnappte. »Ein schmutziges Ding«, sagte sie.
Sobald der Dolch verschwunden war, brachen Mats Schreie ab, und er sackte auf dem Tisch zusammen, als seien seine Muskeln und Knochen mit einem Mal erschlafft. Einen Moment später verschwand auch das Glühen, das die Aes Sedai und den Tisch umgeben hatte.
»Geschafft«, sagte die Amyrlin heiser, als habe sie geschrien und nicht Mat. »Es ist vollbracht.«
Einige der Aes Sedai sackten erschöpft in sich zusammen, und Schweiß stand allen auf der Stirn. Anaiya zog ein schmuckloses Leinentaschentuch aus dem Ärmel und wischte sich das Gesicht ab. Die Weiße mit dem kühlen Blick tupfte sich mit einem Spitzentuch aus Lugard die Wangen ab.
»Faszinierend«, stellte Verin fest. »Daß heute noch das Alte Blut in einem Menschen so stark fließen kann!« Sie und Serafelle steckten die Köpfe zusammen und sprachen leise und gestenreich miteinander.
»Ist er geheilt?« fragte Nynaeve. »Wird er es... überleben?«
Mat lag wie schlafend da, doch sein Gesicht war immer noch hager und ausgezehrt. Egwene hatte noch nie von einer Heilung mit Hilfe der Macht gehört, die nicht alles heilte. Vielleicht hat die Trennung von dem Dolch ihnen alle Energie abgefordert, die sie hatten? Licht!
»Brendas«, sagte die Amyrlin, »würdest du dafür sorgen, daß er auf sein Zimmer zurückgebracht wird?«
»Wie Ihr wünscht, Mutter«, sagte die Frau mit dem kühlen Blick. Ihr Knicks wirkte genauso gefühllos wie sie selbst. Als sie ging, um Träger zu holen, gingen auch einige der anderen Aes Sedai, darunter Anaiya. Verin und Serafelle folgten ihnen. Sie unterhielten sich immer noch so leise, daß Egwene nichts von dem verstehen konnte, was sie sagten.
»Geht es Mat wieder gut?« wollte Nynaeve wissen. Sheriam zog die Augenbrauen hoch.
Die Amyrlin wandte sich
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