Die Rückkehr des Drachen
Waschtischchen blickte ihn sein hageres, hohlwangiges Spiegelbild an. Die Wangen waren eingefallen und die Augen tief eingesunken, das Haar mit Schweiß verklebt. Er stand krumm wie ein alter Mann da und wankte wie Gras im Wind. So zwang er sich, gerade dazustehen, aber viel besser war das auch nicht.
Auf dem Tisch vor seinen Händen stand ein großes, mit einem Tuch bedecktes Tablett, von dem es nach Essen roch. Er zog das Tuch beiseite. Zum Vorschein kamen zwei große Silberkrüge und Schüsseln und Platten aus dünnem, grünen Porzellan. Er hatte gehört, daß die Meerleute solches Porzellan in Silber aufwogen. Er hatte Tee erwartet und Zwieback - Dinge eben, die man einem Invaliden vorsetzte. Statt dessen lagen auf der einen Platte hoch aufgeschichtete Rindfleischscheiben mit braunem Senf und Rettichstücken. Dazu gab es Bratkartoffeln, Bohnen mit Zwiebeln, Grünkohl und Buttererbsen, Gurken und eine Ecke Käse. Dicke, knusprige Brotscheiben lagen daneben und ein Schüsselchen mit Butter. Ein Krug war mit Milch gefüllt, und außen rannen noch Tropfen von Kondenswasser herunter, während sich in dem anderen etwas befand, das nach Glühwein roch. Es war genug da für mindestens vier Männer. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, und sein Magen knurrte vernehmlich.
Zuerst finde ich heraus, wo ich bin. Doch er nahm sich schnell eine Scheibe Rindfleisch, rollte sie zusammen, stippte sie in den Senf, und dann erst stieß er sich vom Tisch ab und torkelte in Richtung der drei hohen, engen Fenster.
Hölzerne Fensterläden, in einem hübschen, durchbrochenen Spitzenmuster ausgeschnitzt, verdeckten die Sicht, aber durch die Öffnungen konnte er sehen, daß es draußen Nacht war. Lichter aus anderen Fenstern waren wie Lichtpunkte in der Dunkelheit zu sehen. Einen Augenblick lang ließ er sich entmutigt gegen das weiße, steinerne Fensterbrett sacken, doch dann begann er, nachzudenken.
Wenn du richtig darüber nachdenkst, kannst du auch noch das Schlimmste zu deinem Vorteil hindrehen, hatte sein Vater immer gesagt, und Abell Cauthon war der beste Pferdehändler der Zwei Flüsse. Wenn es schien, daß ihn jemand übers Ohr gehauen hatte, stellte sich später doch immer heraus, daß am Ende er der Gewinner war. Nicht, daß Abell Cauthon jemals etwas Unehrliches tat. Doch selbst die Leute aus Taren Fähre konnten ihn nicht hinters Licht führen, obwohl man ja weiß, wie gern die jedem das Fell über die Ohren ziehen. Alles nur, weil er alle Seiten der Dinge in Betracht zog.
Tar Valon. Das mußte Tar Valon sein. Dieses Zimmer paßte in einen Palast. Der blumige Teppich aus Arad Doman allein hatte möglicherweise soviel gekostet wie ein ganzer Bauernhof. Darüber hinaus fühlte er sich wohl schwach, aber nicht mehr krank. Und wie man ihm gesagt hatte, war Tar Valon der einzige Ort, an dem man ihn hätte heilen können. Er hatte sich wohl niemals wirklich in dem Sinne krank gefühlt, nicht einmal, als Verin - ein weiterer Name, der aus dem Nebel seiner Erinnerung auftauchte - jemandem erklärt hatte, daß er im Sterben liege. Jetzt war er so schwach wie ein Neugeborenes und hungrig wie ein Wolf, aber irgendwie war er sicher, daß die Heilung erfolgt war. Ich fühle mich - einfach gesund, das ist alles. Ich bin geheilt. Er schnitt den Fensterläden eine Grimasse.
Geheilt. Das bedeutete, sie hatten die Eine Macht bei ihm angewandt. Dieser Gedanke bereitete ihm eine Gänsehaut, aber was vorbei war, war vorbei. »Besser als Sterben«, sagte er sich. Nun fielen ihm ein paar der Geschichten über die Aes Sedai ein, die er einmal gehört hatte. »Es muß halt besser sein, als zu sterben. Selbst Nynaeve glaubte, ich würde es nicht überstehen. Auf jeden Fall ist es geschehen, und es lohnt sich nicht mehr, sich darüber viele Gedanken zu machen.« Ihm wurde klar, daß er mittlerweile die Scheibe Rindfleisch gegessen hatte und sich den Saft von den Fingern leckte.
Tapsig machte er sich auf den Weg zum Tisch zurück. Drunter stand ein Hocker. Den zog er hervor und setzte sich drauf. Er ließ Messer und Gabel liegen und rollte eine weitere Scheibe Rindfleisch zusammen. Wie konnte er die Tatsache, daß er sich in Tar Valon befand - in der Weißen Burg, das ist wohl klar - zu seinem Vorteil ausnützen?
Tar Valon bedeutete auch Aes Sedai. Das war sicherlich ein Grund, keine Stunde länger als notwendig zu bleiben. Im Gegenteil. Seine Erinnerungen an die Zeit mit Moiraine und später mit Verin gaben ihm allerdings kaum Anhaltspunkte. Er
Weitere Kostenlose Bücher