Die Rückkehr des Drachen
nehmen wollen, wenn er unbedingt ausgeruht sein mußte. Es war ganz anders gewesen als jetzt.
Plötzlich schienen die Augen der Aes Sedai in sein Inneres und durch ihn hindurch blicken zu können. Er keuchte und ließ beinahe die Axt fallen. Die Haut an seinem Rücken kribbelte, und seine Muskulatur verhärtete und entspannte sich dann endlich. Seine Schulter bebte unkontrollierbar, und alles verschwamm ihm vor den Augen. Kälte schnitt bis auf die Knochen und noch tiefer. Er hatte den Eindruck von Bewegung, Fallen, Fliegen; er wußte nicht, was, doch es war ein Gefühl, als rase er irgendwie irgendwohin, und zwar mit wahnwitziger Geschwindigkeit und endlos lange. Nach einer Ewigkeit klärte sich die Welt um ihn herum wieder auf. Moiraine trat zurück. Sie taumelte, bis Lan sie am Arm nahm.
Staunend betrachtete Perrin seine Schulter. Die Risse und Quetschungen waren verschwunden, und nicht einmal ein leichtes Zwicken war mehr zu spüren. Er drehte seinen Oberkörper vorsichtig, aber der Schmerz in seinem Rücken war auch verschwunden. Und seine Füße taten nicht mehr weh. Er mußte nicht erst hinuntersehen, um zu wissen, daß die Kratzer und Abschürfungen ebenfalls weg waren. Sein Magen knurrte laut.
»Ihr solltet so bald wie möglich etwas essen«, sagte Moiraine zu ihm. »Ein großer Teil der Kraft, die zur Heilung benötigt wurde, kam aus Euch selbst. Ihr müßt sie ersetzen.«
Hunger und die verlockenden Bilder von Speisen gingen Perrin im Kopf herum. Blutiges, halbgares Rindfleisch, Hirschkeule und Lamm und... Mit Mühe brachte er sich dazu, nicht mehr an Fleisch zu denken. Er würde sich ein paar dieser Wurzeln suchen, die nach Zwiebeln rochen, wenn man sie röstete. Sein Magen knurrte protestierend.
»Es ist kaum eine Narbe zurückgeblieben, Schmied«, sagte Lan hinter ihm.
»Die meisten der verwundeten Wölfe sind von selbst zum Wald zurückgekehrt«, sagte Moiraine. Sie massierte sich den Rücken ein wenig und reckte sich. »Aber ich habe die geheilt, die ich finden konnte.« Perrin sah sie scharf an, doch sie schien sich einfach nur unterhalten zu wollen. »Vielleicht hatten sie ihre eigenen Gründe zu kommen, aber ohne sie wären wir wahrscheinlich alle tot.« Perrin bewegte sich nervös und schlug die Augen nieder.
Die Aes Sedai faßte nach der Schramme auf Mins Wange, aber Min trat zurück und sagte: »Ich bin nicht wirklich verwundet, und Ihr seid müde. Ich bin schon schlimmer gefallen, wenn ich über die eigenen Füße stolperte.«
Moiraine lächelte und ließ die Hand fallen. Lan nahm sie am Arm. Sie wankte in seinem Griff. »Also gut. Und wie steht es mit Euch, Rand? Seid Ihr verletzt? Selbst ein Kratzer von der Klinge eines Myrddraal kann tödlich sein, und die Schwerter einiger Trollocs sind fast genauso schlimm.«
In diesem Augenblick bemerkte Perrin etwas: »Rand, dein Mantel ist naß.«
Rand zog die rechte Hand aus dem Mantel heraus, und die Hand war mit Blut bedeckt. »Nicht von einem Myrddraal«, sagte er abwesend und sah seine Hand an. »Nicht mal von einem Trolloc. Die Wunde, die ich in Falme erhielt, ist wieder aufgebrochen.«
Moiraine zischte und riß sich von Lan los. Sie fiel beinahe neben Rand auf die Knie. Dann zog sie den Mantel ein Stück beiseite und betrachtete seine Wunde. Perrin konnte sie nicht sehen, da ihr Kopf dazwischen war, aber der Blutgeruch war nun stärker geworden. Moiraines Hände bewegten sich, und Rand verzog das Gesicht vor Schmerzen. »›Das Blut des Wiedergeborenen Drachen auf den Felsen des Shayol Ghul wird die Menschheit vom Schatten befreien.‹ Steht das nicht in den Prophezeiungen des Drachen?«
»Wer hat Euch das gesagt?« fragte Moiraine scharf.
»Wenn Ihr mich jetzt zum Shayol Ghul bringt«, sagte Rand schläfrig, »durch ein Wegetor oder einen Portalstein, dann könnte alles damit zu Ende sein. Kein Sterben mehr. Keine Träume mehr. Nichts mehr.«
»Wenn das so einfach wäre«, sagte Moiraine ernst, »würde ich das auf die eine oder andere Art bestimmt tun. Aber man kann nicht alles wörtlich nehmen, was im Karaethon-Zyklus steht. Für jede einfache Aussage gibt es dort zehn, die hundert verschiedene Bedeutungen haben können. Glaubt nicht, daß Ihr etwas von dem wißt, was unbedingt geschehen muß, auch wenn Euch jemand die ganzen Prophezeiungen berichtet hat.« Sie schwieg einen Moment, als wolle sie Kraft schöpfen. Dann griff sie den Angreal fester, und ihre freie Hand glitt an Rands Seite entlang, als sei sie nicht mit Blut
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