Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
raste, als sie auf ihn zuging. In diesem Moment begriff er, dass er dazu noch nicht bereit war. Er war nicht bereit, sich von ihr in diesem Zustand sehen zu lassen. Oh, Gott, nein … Er hielt den Atem an, als sie die Treppe hinaufstieg und sich umdrehte, ohne auch nur in seine Richtung zu schauen. Er wartete und folgte ihr dann mit einem gewissen Abstand.
Sie beschleunigte ihre Schritte auf dem dunklen Gehweg und umklammerte irgendeine Tüte. Larson hatte Mühe, bei ihrem Tempo mitzukommen, da er aus Angst, sie könnte ihn hören und sich umdrehen, den Stock in seiner Hand nicht benutzte. Sie ging an der hell erleuchteten Pension vorbei, obwohl er vermutet hatte, dass sie hier wohnen würde, und dann auch vorbei am Kolonialwarenladen und Mietstall. Wohin wollte sie? Sie näherten sich dem Stadtrand. Schließlich verschwand sie zwischen zwei verwahrlosten Gebäuden in einer Seitenstraße. Für einen Moment fürchtete Larson um ihre Sicherheit.
Dann bog er um die Ecke und sah, wie sie ein heruntergekommenes zweistöckiges Schindelhaus durch die Hintertür betrat. Er starrte das Gebäude an und wich entsetzt einen Schritt zurück.
Er wusste instinktiv, was dieses Gebäude war.
Die vernarbte Haut auf seinem Rücken kribbelte und ihm wurde übel, als er erkannte, was für ein Haus das war. Seine Besorgnis um Kathryn kühlte sich schlagartig ab.
Er zählte zehn kleine Fenster im zweiten Stock. Für ihn war jedes dieser Zimmer automatisch mit Zeit und Geld verbunden. Geistesabwesend fragte er sich, welches Kathryns Zimmer war. Aber sein Herz verwarf diesen Gedanken, obwohl die grausame Wahrheit ihn erbarmungslos anstarrte. Nein, das war nicht möglich. Das konnte nicht sein … Nicht seine Kathryn.
Larson war dankbar für das Gebäude hinter sich. Er lehnte sich daran und glitt zu Boden. Dort blieb er sitzen und durchlebte die letzten fünf Monate seines Lebens von Neuem. Er dachte, er hätte verstanden, was Gott mit dieser ganzen Zeit bezweckt hatte. Dass er Larson zu dem Mann gemacht hatte, der er nach Gottes Willen sein sollte. Zu dem Mann, der er für Kathryn sein musste und sein wollte.
Ein abstoßender Alkoholgeruch wehte zu ihm herüber und sein Magen zog sich zusammen. Die unangenehmen Gerüche und Geräusche aus einer anderen Welt, die lange für ihn gestorben gewesen war, erwachten zu neuem Leben und legten sich erdrückend auf ihn. Er kniete auf der Erde nieder.
So viele Nächte hatte er von ihr geträumt und nur dafür gelebt, wieder bei ihr zu sein. Er hatte nicht gedacht, dass er noch mehr Schmerzen ertragen könnte als seine körperlichen Wunden, aber dieser Schmerz ging tiefer und berührte eine wunde Stelle, von deren Existenz er nichts gewusst hatte. Trotzdem folgte ein Atemzug dem anderen und sein Herz schlug weiter. Die Wochen und Monate, in denen er brutale Schmerzen ausgehalten hatte, dann die langsame Heilung seines Körpers und seines Geistes, wozu waren sie nun gut? Hatte Gott ihn das alles überleben lassen, nur damit er zurückkam und hier einen anderen Tod ertragen musste? Einen Tod, der noch viel schmerzhafter war?
Er verfluchte Kathryn für ihre Untreue. Aber während die unschönen Worte noch auf seinen Lippen lagen, bohrte sich eine schmerzhafte Erkenntnis in seine Brust.
Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch.
Larson wurde völlig still. Ein Schauern zog über seinen Nacken und seinen Rücken. War das die leise Stimme, auf die er hören sollte, wie Isaiah und Abby ihn gelehrt hatten? Sein Atem kam schwerer. Sein Herz raste. Er schloss die Augen und fürchtete sich vor der Antwort. Seine Lippen bewegten sich, aber zuerst kam nichts heraus. „Aber, Herr, Adam hat das über eine Frau gesagt, die treu war.“ Eva hatte sich keinem anderen Mann hingegeben. Keinen anderen Männern.
Die lebhaften Bilder, die vor seinem geistigen Auge auftauchten, drehten ihm fast den Magen um – die Dinge, die er als Junge gesehen hatte, die er auszusperren und zu vergessen versucht hatte. Herr, sie hat mich verachtet. Kathryn hat sich verkauft und meine Liebe gegen einen Hungerlohn eingetauscht.
Einen Moment lang dachte Larson daran, Gott die Schuld für seine Umstände zu geben. Schließlich war Gott derjenige, der ihn am Leben gelassen hatte. Aber da er ihm schon früher Vorwürfe gemacht hatte, wusste Larson, dass das nichts ändern würde. Er hielt sich die Hände vors Gesicht.
Nach so vielen Jahren hatte der Herr endlich angefangen, sein eigensinniges Herz weich zu machen.
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