Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
aufgeschrieben …«
»Was heißt hier zweites Blatt?« fragte ich. »Sie haben mir nur den Zeitungsausschnitt und einen Zettel gegeben, der auf beiden Seiten beschrieben war …«
»Aber es gab noch ein zweites Blatt !« sagte sie.
Da wurde mir plötzlich alles klar. »Die Nachricht«, sagte ich, »endete mit den Worten: ›Aber gib acht …‹ Und ich dachte, Sie wollten mich damit nur ermahnen, vorsichtig zu sein!«
Als Mama Chia klar wurde, was geschehen war, schloß sie die Augen, auf ihrem Gesicht spiegelte sich ein Wechselbad der Gefühle wider. Traurig schüttelte sie den Kopf und seufzte. »Auf dem nächsten Blatt stand alles, was Sie mitnehmen sollten; und dort hatte ich auch aufgeschrieben, wo die Strömung Sie hintreiben würde.«
»Ich … Ich muß die zweite Seite wohl verloren haben, als ich die Zettel in meine Tasche steckte.«
Müde ließ ich mich wieder in die Kissen zurücksinken. Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. »Und als ich dort draußen auf dem Meer dahintrieb, dachte ich einfach, Sie seien eben von der ›Schule, die hohe Anforderungen stellt‹.«
»Nicht so hohe!« erwiderte sie. Wir mußten plötzlich beide lachen, weil das alles zu grotesk war.
Immer noch lachend setzte sie hinzu: »Wenn Sie sich wieder besser fühlen, könnten wir Sie zum krönenden Abschluß ja noch von einer Klippe herunterwerfen!«
Ich lachte noch lauter als sie. Durch die Erschütterung begann mein Kopf wieder zu schmerzen. Und ein paar Sekunden lang war ich mir nicht einmal sicher, ob sie das ernst meinte oder ob es nur ein Scherz sein sollte.
»Aber wer sind Sie? Ich meine …«
»Auf Oahu war ich Ruth Johnson. Hier nennen mich meine Freunde, Schüler, Patienten – und Leute, die ich beinahe umgebracht hätte – Mama Chia.« Sie lächelte.
»Und wie bin ich hierhergekommen, Mama Chia?«
Sie ging zu der Karte von den Hawaii-Inseln und zeigte es mir: »Die Strömung hat dich über den Kaiwi Channel getrieben, dann um Ilio Point herum und in Richtung Osten, an der Nordküste von Molokai entlang, vorbei an Kahiu Point, in Richtung Kamakou, und du landetest – unsanft, aber genau zu dem Zeitpunkt, den ich vorausberechnet hatte – im Pelekunu Valley. Es gibt dort einen Pfad, der steil bergauf führt und den nur wenige Leute kennen. Ein paar Freunde von mir haben geholfen, dich hierherzutragen.«
»Und wo sind wir jetzt?«
»An einem einsamen Ort im Wald.«
Ich schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als er wieder weh zu tun begann. »Das verstehe ich nicht. Wozu diese Geheimnistuerei?«
»Das gehört alles zu deiner Einweihung – das habe ich dir doch gesagt. Wenn du richtig darauf vorbereitet gewesen wärst …« Ihre Stimme wurde leiser und verstummte schließlich ganz. »Ich habe leichtsinnig gehandelt. Es tut mir leid, was du durchmachen mußtest, Dan. Ich wollte nur dein Vertrauen auf die Probe stellen. Fritieren wollte ich dich nicht. Aber anscheinend habe ich genau wie Socrates einen Hang zum Dramatischen.«
»Und«, fragte ich, »bin ich jetzt wenigstens eingeweiht?«
Sie seufzte. »Hoffentlich.«
Nach einer kleinen Pause fragte ich: »Woher wußtest du eigentlich, daß ich nach Hawaii kommen wollte? Bis vor ein paar Tagen wußte ich es noch nicht einmal selbst. Als du mich vor der Bank trafst, war dir da gleich klar, wer ich bin? Und wie hast du mich überhaupt gefunden?«
Mama Chia blickte eine Weile aus dem Fenster, ehe sie antwortete. »Hier sind andere Kräfte am Werk – anders kann ich es dir auch nicht erklären. Ich lese nicht oft die Tageszeitung, und die ›Privaten Kleinanzeigen‹ schaue ich mir so gut wie nie an. Aber diesmal war ich bei meiner Schwester auf Oahu zu Besuch, um bei Victors Party dabeizusein; und da sah ich die Zeitung auf ihrem Wohnzimmertisch liegen. Wir wollten ausgehen, und ich wartete auf sie, weil sie sich noch umzog. Da nahm ich die Zeitung in die Hand und überflog sie. Als mein Blick auf deine Anzeige fiel, war ich wie elektrisiert. Ich hatte das Gefühl, daß das Schicksal war.«
Ich lag ganz ruhig da; aber es lief mir kalt den Rücken hinunter. »Als ich diese Anzeige las«, fuhr sie fort, »sah ich dein Gesicht vor mir, fast so deutlich, wie ich es jetzt sehe.« Sanft berührte sie meine blasenübersäten Wangen. »Ich freute mich so, daß du endlich da warst.«
»Aber warum? Was hattest du denn davon?«
»Als ich die Anzeige las, fiel mir alles wieder ein – was Socrates mir über dich geschrieben
Weitere Kostenlose Bücher