Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
bin ich eigentlich? fragte ich mich. Wer hat mich gerettet? Und wer hat mich hierhergebracht?
»Hallo!« rief ich. »Hallo!« wiederholte ich noch einmal, diesmal lauter. Da hörte ich Schritte. Ein kleines Mädchen kam herein. Sie hatte pechschwarzes Haar und ein hübsches Lächeln.
»Hallo«, begrüßte sie mich. »Geht es Ihnen jetzt besser?«
»Ja«, antwortete ich. »Wer … Wer bist du? Und wo bin ich?«
»Sie sind hier !« antwortete sie belustigt. »Und ich bin Sachi, Mama Chias Helferin«, erklärte sie stolz. »In Wirklichkeit heiße ich Sachiko, aber Mama Chia nennt mich immer Sachi, weil das kürzer ist …«
»Wer ist Mama Chia?« unterbrach ich sie.
»Meine Tante. Sie bringt mir die Geheimnisse der Kahuna bei.«
»Kahuna? Dann bin ich also immer noch auf Hawaii?«
»Natürlich!« sagte sie und lächelte über meine dumme Frage. »Wir sind auf Molokai.« Sie zeigte mir eine verblichene Landkarte der Hawaii-Inseln, die hinter mir an der Wand hing.
»Molokai? Ich bin bis nach Molokai getrieben?« fragte ich fassungslos.
Langsam wanderte Mama Chia den verschlungenen Waldweg hinab. Sie hatte eine anstrengende Woche hinter sich, und die letzten Tage hatten sie sehr ermüdet. Doch ihre Arbeit weckte eine Energie in ihr, die über die Kräfte ihres physischen Körpers hinausging.
Sie ging weiter durch den Wald. Jetzt war keine Zeit zum Ausruhen; sie wollte sehen, wie es ihrem neuen Patienten ging. Am Saum ihres geblümten Kleides, das vom letzten Regenschauer noch feucht war, hing verkrusteter Schlamm. Das Haar klebte ihr in feuchten
Strähnen an der Stirn. Aber es war ihr egal, wie sie aussah. Sie beschleunigte ihren Schritt und lief so rasch, wie sie es auf dem matschigen Waldweg konnte, um so bald wie möglich bei ihrem Patienten zu sein.
Schließlich bog sie um die letzte Biegung – ihr Körper hatte diesen Weg so gut in Erinnerung, daß sie ihn auch in einer mondlosen Nacht gefunden hätte. Dann tauchte die kleine Lichtung mit der Hütte vor ihr auf, die sich an eine grüne Mauer aus Bäumen schmiegte und kaum zu erkennen war. »Sie ist immer noch an der gleichen Stelle wie vorher«, murmelte Mama Chia im Scherz vor sich hin, ging an dem Schuppen und dem Gemüsegarten vorbei und trat ein.
Ich versuchte mich aufzusetzen und aus dem offenen Fenster zu sehen. Die Spätnachmittagssonne fiel herein und erhellte die gegenüberliegende Wand. Dann wurde mir schwindelig, und ich legte mich wieder hin. »Sachi«, fragte ich mit schwacher Stimme, »wie bin ich eigentlich hierhergekommen? Und …«
Als nächstes saß ich kerzengerade im Bett und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Eine Frau kam ins Zimmer gehumpelt und wandte sich mir zu.
»Ruth Johnson?« rief ich verblüfft. Wie war das möglich? »Träume ich?«
»Durchaus möglich«, sagte sie. Aber es war kein Traum. Die Frau, die mich mit dem Surfbrett aufs Meer hinausgeschickt hatte, stand vor mir und blickte auf mich herab.
»Sie hätten mich beinahe umgebracht!« rief ich.
Die alte Frau lehnte ihren Bambusstock an die Wand, schüttelte mein Kopfkissen auf und drückte mich sanft aufs Bett zurück. Sie lächelte nicht; aber in ihrem Gesicht lag eine Zärtlichkeit, die mir vorher nicht aufgefallen war. »Du hast ihn gut versorgt, Sachi«, sagte sie zu dem jungen Mädchen. »Deine Eltern werden zufrieden mit dir sein.« Sachi strahlte; ich hatte andere Sorgen.
»Wer sind Sie?« fragte ich die Frau. »Und warum haben Sie mir das angetan? Was soll das Ganze eigentlich? «
Sie zögerte ein wenig mit ihrer Antwort. Während sie frische Salbe in mein Gesicht einmassierte, sagte sie ruhig: »Ich verstehe das nicht. Sie scheinen doch nicht dumm zu sein. Wieso haben Sie meine Anweisungen nicht befolgt? Warum haben Sie nichts zu essen, nichts zu trinken und kein Sonnenschutzmittel mitgenommen?«
»Welche Anweisungen? Wozu hätte ich nachts ein Sonnenschutzmittel gebraucht? Und wer nimmt sich schon etwas zu essen und zu trinken mit auf ein Surfbrett? Warum haben Sie mir denn nicht gesagt, was ich für meine Reise brauchte?«
»Aber das habe ich doch«, unterbrach sie mich. »Ich habe es auf den Zettel geschrieben: Aber gib acht, daß Du ein Sonnenschutzmittel und Essens- und Wasservorräte für drei Tage mitnimmst, und …«
»Davon stand nichts in Ihrer Nachricht«, unterbrach ich sie.
Sie hielt inne, verblüfft und nachdenklich. »Wie ist das möglich?« fragte sie und blickte ins Leere. »Auf dem zweiten Blatt hatte ich doch alles
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