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Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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nicht darüber hinaussehen. Wie eine Mücke auf einem Fernsehbildschirm siehst du nur eine Menge schwarzer Punkte. Aber es gibt einen größeren Zusammenhang, Dan. Jeder Mensch hat seine Rolle auf der Welt zu spielen. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, wirst du den Sinn deines Lebens schon entdecken. Vielleicht wartet er draußen in der Wüste auf dich.« Ehe ich sie fragen konnte, was sie damit meinte, fuhr sie fort: »Der Weg des friedvollen Kriegers beginnt damit, daß man alle seine drei Selbste annehmen und leben muß – du mußt mit dem Kopf in die Wolken reichen und mit den Füßen fest auf dem Boden stehen.
    Wir haben gemeinsam ein Werk zu vollbringen, du und ich«, sagte sie abschließend. »Und wir werden dich genauso auf dieses Werk vorbereiten, wie wir auf diesen Berg hinaufsteigen – Schritt für Schritt.« Mit diesen Worten drehte sie sich wieder um und kämpfte sich weiter bergauf. Ihre Worte hatten mich ermutigt, aber an meinem Körper war der mühsame Aufstieg nicht spurlos vorübergegangen. Er begann allmählich zu ermüden. Doch Mama Chia hinkte unerbittlich weiter.
    »Wohin gehen wir eigentlich?« fragte ich keuchend.
    »Zum Gipfel.«
    »Und was sollen wir dort?«
    »Das wirst du schon sehen, wenn wir oben sind«, antwortete sie und kletterte zielstrebig weiter den felsigen Weg hinauf.
    Bald wurde der Pfad noch steiler. Er kam mir vor wie eine endlose Treppe. Mit jedem Schritt wurde die Luft dünner, und das Atmen fiel
uns immer schwerer. Der Berg Kamakau, auf dessen Gipfel wir wollten, war mehr als 1500 Meter hoch.
     
    Zwei Stunden später, kurz vor der Abenddämmerung, hatten wir den Gipfel erreicht. Endlich betraten wir wieder ebenen Boden. Mit einer ausladenden Handbewegung machte Mama Chia mich auf den atemberaubenden Ausblick über die Insel Molokai aufmerksam. Langsam drehte ich mich um meine eigene Achse und ließ meine Blicke über die weite Fläche dichten grünen Waldes schweifen, der bis ans Meer heranreichte. Der Horizont erstrahlte in leuchtenden Farben – die untergehende Sonne bemalte die Wolken rosa, rot, orange und violett.
    »Endlich sind wir da«, seufzte ich.
    »Ja, wir sind da«, wiederholte sie gedankenverloren, den Blick immer noch auf den Sonnenuntergang geheftet.
    »Geh und hole Holz. Wir übernachten heute hier. Ich kenne einen geschützten Platz. Unser Ziel erreichen wir erst morgen.« Sie deutete auf die Ostspitze der Insel.
    Dann führte sie mich zu einem kleinen Wasserfall, und wir tranken uns an dem funkelnden, mineralreichen Wasser satt. In der Nähe war ein Felsvorsprung, wo wir unterkriechen konnten, falls es plötzlich regnen sollte. Ich freute mich über die Verschnaufpause, schwang Mama Chias Rucksack von meinen Schultern und fühlte mich leichter als Luft. Meine Beine zitterten. Ich wußte, daß sie morgen früh steif sein würden.
    Ich begriff nicht, wie diese ältliche Frau, die kleiner, aber viel schwerer war als ich, diese Anstrengung verkraften konnte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie vorgehabt hätte, auch noch die ganze Nacht durchzuwandern.
    Wir machten ein Feuer und legten in Folie gewickelte Jamswurzeln auf die von den Flammen erhitzten Steine. Mit rohem Gemüse serviert, schmeckten die Wurzeln köstlich.
    Dann machten wir uns aus dicken Moospolstern ein Lager zurecht und legten ein paar kleine Zweige ins Feuer – nicht um der Wärme willen, sondern wegen des Lichtscheins und des beruhigenden Knisterns.

    Als wir uns niederlegten, sagte ich mit ruhiger Stimme: »Mama Chia, mit dem Surfbrett auf dem Meer dahinzutreiben muß mir mehr Angst eingejagt haben, als ich gedacht hatte; denn seitdem denke ich viel über das Leben und den Tod nach. Vor ein paar Tagen sah ich vor dem Einschlafen das Gesicht eines Freundes vom Oberlin College vor mir, der vor einiger Zeit gestorben ist. Er war jung und voller Lebensfreude. Dann wurde er krank, und die Ärzte sagten, er müsse sterben. Ich weiß noch, daß er viel gebetet hat. Aber er ist trotzdem gestorben.«
    Mama Chia seufzte. »Unsere Gebete werden immer gehört. Aber manchmal sagt Gott nein.«
    »Und warum sagt er nein?«
    »Warum sagen Eltern nein, obwohl sie ihre Kinder lieben? Manchmal wünschen die Kinder sich eben nicht das, was sie wirklich brauchen. Wenn Menschen feststellen, daß die Grundlagen, auf denen sie ihr Leben aufgebaut haben, ins Wanken geraten, wenden sie sich hilfesuchend an Gott – und erfahren, daß er es war, der das Fundament ihrer Existenz erschüttert hat.

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