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Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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lerne, wenn ich das Richtige tue, dann wird mein Leben leichter, dann habe ich es besser unter Kontrolle – aber jetzt habe ich das Gefühl, daß eigentlich alles nur immer schlimmer geworden ist. Es ist, als rutschte mir etwas aus den Händen, und ich weiß nicht, wie ich es festhalten soll! Es kommt mir vor, als wäre ich vom Weg abgekommen, als hätte ich mich irgendwie verirrt.
    Ich weiß, es gibt Menschen, denen es viel schlimmer geht als mir. Ich lebe nicht in Armut, muß nicht hungern und werde nicht unterdrückt. Vielleicht klingt das alles, als beklagte ich mich oder jammerte dir etwas vor. Aber ich habe gar kein Mitleid mit mir, Mama Chia – ich will nur, daß das alles aufhört!
    Einmal habe ich mir das Bein gebrochen. Es war ein ziemlich komplizierter Bruch«, erzählte ich weiter und sah ihr in die Augen, »mein Oberschenkelknochen war in ungefähr vierzig Stücke zersplittert  – ich weiß also, was Schmerz bedeutet. Und dieses Gefühl, das ich jetzt habe, ist für mich genauso wirklich wie Schmerz. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ich verstehe dich sehr gut«, sagte sie. »Schmerz und Leiden gehören zum Leben eines jeden Menschen. Sie nehmen nur bei jedem eine andere Form an.«
    »Kannst du mir denn helfen, zu finden, was ich suche – was immer es auch sein mag?«
    »Vielleicht«, sagte sie. Dann drehte sie sich um und stieg weiter bergauf.
     
    Je höher wir stiegen, um so dünner wurde der Wald. Das Moos und Laub unter unseren Füßen wich allmählich rötlichbrauner Erde, die sich nach einem sintflutartigen Regen, der ebenso schnell wieder aufhörte, wie er begonnen hatte, in Schlamm verwandelte. Hin und wieder rutschte ich aus. Mama Chia ging zwar langsam, war aber sicherer auf den Beinen als ich. Als ich schon dachte, sie hätte meine Frage vergessen, antwortete sie endlich.
    »Dan, hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, daß ein großes Haus nicht von einer einzigen Person allein gebaut werden
kann? Egal, wie intelligent oder wie kräftig sie auch sein mag – ohne Zusammenarbeit mit Architekten, Bauunternehmern, Arbeitern, Buchhaltern, Fabrikanten, Lastwagenfahrern, Chemikern und Hunderten anderer Menschen kann einer allein kein Gebäude errichten. Kein Mensch ist intelligenter als alle zusammen.«
    »Aber was hat denn das mit mir zu tun …«
    »Nehmen wir zum Beispiel Socrates«, fuhr sie fort. »Er hat viele Talente, ist aber klug genug, sie nicht alle gleichzeitig einzusetzen. Er hat begriffen, daß er nicht alles für dich tun konnte – jedenfalls nicht alles auf einmal. Er wußte, daß er deine Psyche nicht zwangsernähren konnte. Er konnte dir nur das beibringen, wofür du bereits Augen und Ohren hattest.
    Als Socrates mir schrieb, hat er mich gewarnt. Er hat geschrieben, daß du sehr streng mit dir bist, daß du leicht gereizt reagierst – und daß ich dich vielleicht ab und zu beruhigen müßte.« Sie drehte sich zu mir um und grinste mich an, während wir weiter langsam den Berg hinaufstiegen. »Er schrieb auch etwas von Samen, die er in dein Herz und deinen Geist gelegt hätte und die später keimen würden. Ich bin hier, um diese kleinen Keime zu hegen und zu pflegen, damit sie wachsen können.
    Du bist durch deine Ausbildung bei Socrates nicht vollkommen geworden, Dan, aber sie hat dir trotzdem wertvolle Dienste geleistet. Nichts geht verloren, nichts ist umsonst. Socrates hat viel geschafft, und du auch. Er hat dir geholfen, dich von deinen schlimmsten Illusionen zu befreien und die größeren Zusammenhänge zu erkennen. Er hat dir eine Grundlage gegeben; jetzt bist du wenigstens bereit zuzuhören, auch wenn du nicht immer etwas hörst. Ich glaube nicht, daß du mich je gefunden hättest, wenn er dich nicht darauf vorbereitet hätte.«
    »Aber ich habe dich doch gar nicht gefunden. Du hast mich gefunden!«
    »Egal, unter welch seltsamen Umständen wir uns begegnet sind – ich glaube nicht, daß es dazu gekommen wäre, wenn du nicht bereit dafür gewesen wärst. So funktionieren diese Dinge nun einmal. Ich hätte mich dann vielleicht nicht dazu entschlossen, mit dir
zu arbeiten, oder du wärst nicht zu der Party gekommen. Wer weiß?«
    Als wir das Hochland erreicht hatten und nicht mehr weit vom Fuß des felsigen Gipfels entfernt waren, blieben wir kurz stehen, um den Ausblick zu genießen. Fast so weit mein Auge reichte, sah ich nichts als grüne Baumwipfel. Die feuchte, schwüle Luft legte sich in kleinen Tröpfchen auf meine Arme und meine Stirn.

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