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Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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Abgrunds, streckte die Hände aus und zog Sachi herauf. Dann – gerade in dem Augenblick, als der Tiger zum Sprung ansetzte – zog ich sie durch die Tür.
    Der Aufprall muß ziemlich heftig gewesen sein. Kaum waren wir durch die Tür, verlor ich das Bewußtsein.
    Momente später erwachte ich wieder. Um mich herum war es ziemlich dunkel. Ich hatte blaue Flecken an den Armen, und der Kopf tat mir weh. Mein ganzer Körper schmerzte. Ich warf einen Blick auf mein Handgelenk. Es war verkrümmt – gebrochen. Doch dann streckte es sich langsam wieder, die blauen Flecken verschwanden, und der Schmerz legte sich. Ich schloß für ein paar Sekunden die Augen.
     
    Als ich sie wieder aufschlug, saß ich aufrecht auf einem alten Laken neben einem offenen Grab auf dem heiligen Kahuna -Friedhof.
    Die Morgensonne schien Mama Chia ins Gesicht und tauchte es in einen rosigen Schimmer. Trotzdem sah sie blaß und mitgenommen aus. Als sie sah, wie ich sie anstarrte, lächelte sie matt und sagte: »Die letzten Tage waren eine ziemlich harte Probe für uns. Wenn du meinst, daß ich schlecht aussehe, dann sei froh, daß du dich selbst nicht siehst!«
    Sie reichte mir eine Plastikflasche mit Wasser. »Da, trink.«

    »Danke.« Meine Kehle war völlig ausgedörrt. Dankbar griff ich nach der Flasche. Seit meinem Erlebnis da draußen auf dem Meer konnte ich Durst nicht mehr gut verkraften. Zumindest diese Angst schien nach wie vor fest in der Tiefe meines Basis-Selbst verankert zu sein.
    Als ich ausgetrunken hatte, stand Mama Chia auf. »Komm. Wir haben noch einen weiten Rückweg vor uns.« Ehrerbietig verabschiedeten wir uns von Lanikaula. Obwohl er bei Tageslicht nicht zu sehen war, spürte ich seine Gegenwart und seinen Segen.
    Auf dem Rückweg wurde mir bewußt, daß ich zwar im dritten Stockwerk Ordnung geschaffen und genügend Konzentrationsfähigkeit und Selbstdisziplin bewiesen hatte, um das Tor zum vierten Stock durchschreiten zu können, daß meine Vision aber im dritten Stock abgebrochen war. Ich hatte das vierte Stockwerk gar nicht erreicht! Ich ahnte zwar schon, daß ich versagt hatte; trotzdem fragte ich Mama Chia nach ihrer Meinung.
    Sie gab mir eine einfache, ehrliche Antwort: »Du bist noch nicht soweit. Deine Psyche hat es abgelehnt. Du bist zurückgekommen.«
    »Also habe ich die Chance vertan«, sagte ich.
    »Das ist sehr simpel ausgedrückt – aber mehr oder weniger stimmt es.«
    »Und was soll ich jetzt tun?«
    »Tja, Dan, deine Ausbildung bei Socrates hat dir geholfen, durch die ersten drei Stockwerke zu kommen, wie ich dir gesagt habe. An sich bist du bereit, das vierte Stockwerk zu betreten. Das kann jederzeit geschehen. Aber verstehst du: Um den großen Sprung tun zu können, muß dein Bewußtes Selbst, das Ich, seinen Griff lockern. Vielleicht ist es das, was dich noch zurückhält.«
     
    Bald wurde es dunkel. Wir übernachteten im Regenwald. Morgen, dachte ich, haben wir nur noch eine kurze Strecke vor uns. Noch ein paar Stunden, dann sind wir zu Hause.
    Doch bald nach unserem Aufbruch am nächsten Morgen gelangten wir zu einem eindrucksvollen Wasserfall, der von einem Felsvorsprung zwölf Meter über uns in die Tiefe hinabdonnerte.

    »Weißt du«, sagte ich und blickte unverwandt in das tosende Wasser hinein, »Socrates hat mich einmal davor gewarnt, mich zu sehr von inneren Dingen beeindrucken zu lassen – Visionen und so etwas. Er sagte, das könnte manche Menschen – vor allem solche, die keinen allzu festen Boden unter den Füßen haben – zu allen möglichen Illusionen verleiten. Selbst wenn er mich gerade auf eine innere Reise geschickt hatte, pflegte er noch zu sagen, ich solle die Lektion im Kopf behalten, aber die Erinnerung an das Erlebnis wieder abschütteln.
    Und deshalb habe ich mir gedacht: Vielleicht beweisen all diese Visionen letzten Endes gar nichts. Im Traum ist es viel leichter, mutig oder hemmungslos oder diszipliniert zu sein als im wirklichen Leben. Ich habe gar nicht das Gefühl, jetzt so völlig anders zu sein als vorher. Woher soll ich denn wissen, ob sich wirklich etwas geändert hat?«
    »Was du durchgemacht hast, war viel mehr als ein Traum, Dan. Und sieh das mit dem ›wirklichen Leben‹ nicht zu eng.«
    »Aber ich glaube immer noch, mir etwas beweisen zu müssen.«
    Mama Chia lächelte und schüttelte belustigt den Kopf. Sie blickte mich ein paar Sekunden lang unverwandt an; dann schaute sie in den Wasserfall. »Also gut«, meinte sie. »Du mußt dir etwas beweisen?

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