Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
Vom Netzwerk:
Mama Chia und sie, eine runder als die andere, versuchten, sich zu umarmen. Sie sahen aus wie zwei manövrierende Zeppeline.
    Tia war eigentlich eine sehr hübsche Frau, obwohl sie eine verkrüppelte Hand hatte und einen Verband um den Arm trug. Mama Chia gab ihr den Kuchen. »Der ist für dich – und das Baby«, sagte sie.
    »Mahalo!« bedankte Tia sich lachend. Dann wandte sie sich mir zu. »Das ist wohl dein neuer Freund?« fragte sie Mama Chia.
    »Nein!« wehrte Mama Chia ab. »Meine Freunde sehen besser aus – und sind jünger, das weißt du doch!« Wieder lachten sie herzlich.
    »Er hat darauf bestanden, herzukommen und ein paar Tage im Garten zu helfen. Er ist ein kräftiger Bursche. Die Vorschrift, daß
freiwillige Helfer bis zum Einbruch der Dunkelheit arbeiten müssen, ist ihm gerade recht.« Mama Chia stellte mich mit einer eleganten Handbewegung vor: »Tia, das ist Dan.«
    Tia umarmte mich herzlich. Dann wandte sie sich wieder Mama Chia zu. »Ich freue mich so, daß du da bist!« Wieder umarmten sie sich – inzwischen hatten sie den Bogen heraus –, und dann schlenderte Tia davon, um den anderen Mama Chias Kuchen zu zeigen.
    Wir setzten uns zu Tisch. Eine Frau bot mir frisches Obst auf einem Tablett an. Sie war sehr liebenswürdig, aber ich konnte einfach nicht ignorieren, daß sie ein zernarbtes Gesicht und nur noch ein Auge hatte. Ich hatte keinen großen Hunger und wollte es ihr gerade sagen. Da blickte ich in ihr eines Auge, und zwischen uns beiden entstand eine Art Kontakt. Ihr Auge war so hell, so strahlend – ein paar Sekunden lang hatte ich das Gefühl, ihre Seele darin zu erkennen, und die sah genauso aus wie meine. Ich nahm die Früchte, die sie mir anbot. »Mahalo«, sagte ich.
     
    Später, als Mama Chia und ich allein auf zwei alten Holzstühlen im Speisesaal saßen, fragte ich sie: »Warum war diese Tia dir eigentlich so dankbar für den Kuchen?«
    Sie lachte. »Das war nicht wegen des Kuchens – obwohl ich wunderbaren Kuchen backe! Sie war dankbar, weil ich ein Zuhause für ihr Baby gefunden habe.«
    »Was hast du?«
    Sie sah mich an, als sei ich schwer von Begriff. »Ist dir noch nicht aufgefallen, daß es hier keine Kinder gibt? Hier dürfen keine Kinder leben – wegen der Krankheit. Kinder von Leprakranken kommen im allgemeinen nicht mit Lepra auf die Welt; aber sie sind besonders anfällig dafür, und deshalb können sie nicht hier wohnen. Das ist vielleicht das Traurigste von allem, denn diese Menschen haben Kinder ganz besonders gern. Zwei Monate vor der Geburt muß die Frau die Leprakolonie verlassen, ihr Kind woanders zur Welt bringen und ihm Lebewohl sagen.«

    »Das heißt, Tia wird ihr Kind gar nicht sehen – sie muß es hergeben?«
    »Ja, aber ich habe eine Familie für das Kind gefunden, die nicht zu weit weg wohnt. So kann sie ihr Kind wenigstens besuchen; deshalb ist sie so glücklich.« Mama Chia erhob sich abrupt. »Aber ich muß noch andere Leute besuchen und habe vieles zu erledigen. Komm, ich führe dich ein bißchen herum.«
    »Moment mal! Ich habe noch nicht gesagt, daß ich hierbleibe.«
    »Und? Bleibst du?« Ich antwortete nicht gleich. Schweigend gingen wir weiter, hinunter zu ein paar Bungalows und dem Strand, der ein paar hundert Meter weiter anfing. »Kommst du hierher, um ihnen etwas beizubringen?« fragte ich.
    »Nein – um von ihnen zu lernen.« Sie hielt inne und suchte nach Worten. »Das sind ganz normale Menschen, Dan. Wenn sie nicht krank wären, würden sie auf den Zuckerrohrfeldern arbeiten, Versicherungen verkaufen oder als Ärzte oder Bankangestellte arbeiten  – genau wie alle anderen Leute. Ich will sie nicht idealisieren. Sie haben die gleichen typischen Probleme und Ängste wie jeder andere auch.
    Aber Mut ist wie ein Muskel. Wenn man ihn trainiert, wird er stärker. Die meisten Menschen stellen ihren Mut erst auf die Probe, wenn sie in Not geraten. Diese Leute hier hatten die schwersten physischen und psychischen Kämpfe zu bestehen: Verstoßen, weil man Angst vor ihnen hat, müssen sie abseits in einem Dorf leben, ohne sich an dem Lachen ihrer Kinder freuen zu dürfen. Das Wort ›Leprakranker‹ ist zu einem Synonym für jemanden geworden, von dem man sich abwendet, den man meidet – ein Paria, von der ganzen Welt verlassen. Nur wenige Menschen haben so viel durchmachen müssen, und wenige haben so viel Mut bewiesen.
    Ich fühle mich zu allen Menschen hingezogen, die viel Mut haben. Deshalb interessiere ich mich ganz

Weitere Kostenlose Bücher