Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
erklärte Mama Chia.
»Wer ist denn Socrates’ Vater …?« fragte ich.
Da hörte ich hinter mir eine tiefe Stimme: »Hallo, Dan.«
Ich drehte mich um, und mein Kinn klappte herunter. Sah ich einen Geist? Aber er war es tatsächlich – groß und schlank, mit einem weichen blonden Bart, tiefliegenden Augen und seinem alten warmen Lächeln. »Joseph, bist du’s wirklich?«
Er packte mich einfach und drückte mich so fest an sich, wie mich schon seit Jahren keiner mehr umarmt hatte. Als er mich wieder losließ, trat ich einen Schritt zurück. »Aber … aber Socrates hat mir doch gesagt, daß du gestorben bist – an Leukämie!«
»Habe ich nicht!« protestierte der kleine Junge.
Wieder lachten wir herzlich. »Nicht du, Socrates – ein älterer Mann, der auch Socrates heißt. Das ist schon Jahre her«, erklärte ich.
»Gestorben?« fragte Joseph immer noch lächelnd. »Na ja, ich bin tatsächlich ein bißchen müde, aber du weißt ja, wie Socrates manchmal übertreibt!«
»Was ist denn passiert?« fragte ich. »Wie …«
»Macht doch einen kleinen Spaziergang miteinander!« schlug Sarah vor. »Ihr habt sicher viel nachzuholen!«
Während wir langsam durch den Wald wanderten, erklärte Joseph mir das Rätsel seines angeblichen Todes.
»Ich hatte tatsächlich Leukämie«, bestätigte er. »Ich leide noch immer daran, aber mit Mama Chias Hilfe wird mein Körper ganz gut mit der Krankheit fertig.
Doch in gewisser Hinsicht hat Socrates die Wahrheit gesagt. Für die anderen Menschen war ich tatsächlich tot. Und zwar mehrere Monate lang. Ich wurde ein Asket, ein Einsiedler. Ich erklärte Socrates, ich wollte in den Wald gehen und fasten und beten, bis ich entweder
geheilt würde oder starb. Aber ich sollte meine Geschichte wohl lieber ein paar Jahre früher beginnen, damit du auf dem laufenden bist.
Ich bin in einer Familie im Mittelwesten aufgewachsen, die mir immer fremd geblieben ist. Ich werde diesen Leuten immer dankbar dafür sein, daß sie all die Kinderkrankheiten mit mir durchgemacht haben – all die vielen Nächte, in denen sie meinetwegen nicht schlafen konnten – und daß sie mir Essen und ein Dach über dem Kopf gegeben haben. Aber ich hatte nie das Gefühl, zu ihnen zu gehören. Irgendwie spürte ich, daß ich anders war als sie, verstehst du, was ich meine?«
»Ja«, antwortete ich. »Das Gefühl kenne ich auch.«
»Also machte ich mich aus dem Staub, sobald sich die erste Gelegenheit dazu bot. Ich jobbte mich durch ganz Amerika, hauptsächlich als Gelegenheitsarbeiter, immer in Richtung Westküste. Und als ich dann in Los Angeles angelangt war, zog es mich noch weiter nach Westen. Schließlich landete ich auf Molokai. Ich hatte hier einen Freund. Er riet mir, mich auf der Insel niederzulassen. So wurde ich ein junger ›Farmer‹. Ich baute Cannabis an …«
»Was – du hast dein Geld mit Marihuana verdient?«
»Ja. Das war 1960 – damals schien das genau das richtige zu sein. Jetzt tue ich es nicht mehr, denn – na ja, inzwischen ist es halt nicht mehr das richtige.
Jetzt baue ich Schränke, Kommoden und mache Zimmermannsarbeiten. Davon kann ich leben und habe alle Hände voll zu tun, so daß ich nicht auf dumme Gedanken komme.« Er lächelte. »Aber damals habe ich mit dem Marihuana eine Menge Geld verdient. Dann heiratete ich Sarah. 1964 kam Sachi zur Welt, und dann …« – an dieser Stelle hielt Joseph inne. Ich glaube, die Erinnerung schmerzte ihn. »… Dann bin ich einfach abgehauen. Ich …« Joseph suchte nach Worten. »Dan, du weißt doch, wie das mit den drei Selbsten ist, nicht wahr?«
Ich nickte. »Ja. Mein Basis-Selbst kenne ich inzwischen; aber zu meinem Höheren Selbst habe ich irgendwie den Kontakt verloren«, antwortete ich.
»Bei mir war es genau umgekehrt«, erklärte Joseph. »Ich habe mein Basis-Selbst abgelehnt. Ich wollte nur noch weg hier. Mit den Mühen des täglichen Lebens auf unserem Planeten Erde konnte ich mich einfach nicht abfinden. Ich sagte mir, ich sei schließlich ein ›spirituelles Wesen‹, ein ›kreativer Künstler‹, der es nicht nötig hat, sich mit der ›Realität‹ zu befassen. Meistens meditierte ich, hielt Zwiesprache mit der Natur oder las – und hoffte dabei immer, ›irgendwo anders‹ hinzukommen – irgendwo, wo ich mich nicht mit der Mühsal, dem Kleinkram, den physischen Dingen des Reichs der Materie auseinandersetzen mußte. Und als dann Sachi auf die Welt kam … Ich war einfach noch nicht bereit
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