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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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aufgestöbert?
    – Vielleicht will Archer den Hungerstreik nicht unterstützen.
    – Er liebt Hungerstreiks. Hat selber mitgemacht und wär ein paarmal – mindestens zweimal – fast abgenibbelt. Mister Archer ist ihr wandelndes Denkmal, das jede Spaltung, jeden Einsatz überdauert hat. Also, Henry – warum du?
    Ich war müde, ich fror.
    – Ich weiß es nicht.
    Ich hielt die Stange fest, die über die Rückseite seines Sitzes lief. Er legte seine Hände auf meine.
    – Dann sieh zu, dass du’s rauskriegst.
    Francis Hughes starb am 12. Mai, nach neunundfünfzig Tagen.
Das Licht, das er entzündet hat, wird nie erlöschen.
Raymond McCreesh und Patsy O’Hara starben am 21. Mai nach einundsechzig Tagen. Ich saß am Bett meiner Frau und fragte mich plötzlich, ob das auch bei ihr so war – dass sie streikte und nicht aufwachen wollte, bis die anderen gestorben waren und Irland frei war. Das Auge stand offen und signalisierte mir, dass sie wartete.
    Klang einleuchtend – aber ich wusste, dass es nicht stimmte. Ich hatte sie auf dem Küchenfußboden gefunden. Nach einem Schlaganfall, nicht nach einer bewussten Entscheidung. Einleuchtend war es trotzdem. Zum ersten Mal seit Wochen hielt ich wieder ihre Hand und meinte eine Spur von Wärme zu spüren, die Bewegung eines Muskels hinter einem Finger. Der Hungerstreik als Taktik gefiel mir nicht, aber er war ehrlich und klar. Der Streikende entschied sich für Schweigen, Leere, den Schritt ins Nichts. Das Nichts war besser als das, was sonst so geboten wurde. Man konnte wählen: totale Freiheit oder Tod.
    Ich hatte oft sterben wollen. Im Monument Valley war ich in mein eigenes Grab gekrochen, aber nur, weil ich nicht mehr hatte leben wollen. Die aber waren junge Männer. Es war nicht so, dass sie das Leben satthatten oder sich von ihm hatten unterkriegen lassen, sie gaben es bewusst auf, weigerten sich weiterzumachen. Und ihr Schweigen imponierte mir mehr als alles, was ich erlebt hatte, seit die Männer der Citizen Army als Kugelfang für die Kameraden hinter ihnen aus dem Nebeneingang der Hauptpost gestürmt waren. Jetzt hatte ich, wie damals, das Gefühl, dass Männer, die ich bewunderte, für mich starben.
    Männer und eine Frau.
    Aber natürlich war das alles Blödsinn. Sie war in den Neunzigern und tat das, was alle alten Frauen taten, wenn sie so weit gekommen waren: Sie legte sich hin und gab den Löffel ab.
    Ich spürte ihren leichten Schlag am Hinterkopf.
Du bist der Laufbursche, Henry Smart.
Ich drückte ihr die Hand.
    Sie lag im Sterben, sie war schon tot. Ihre Hand schwitzte nicht.
    Ich hatte keine Schritte gehört, aber ich drehte mich um.
    Meine Tochter stand in der Türöffnung, ohne sie auszufüllen. Noch eine Frau im Hungerstreik. Eine hagere, beeindruckende Person, die zornig zu mir und ihrer Mutter ins Zimmer schaute.
    Meine Tochter. Ich konnte sie nicht als Saoirse sehen und wusste, dass das unfair war. Saoirse war ein Kind, das ich vor fünfzig Jahren geliebt hatte. Nichts an dieser grauhaarigen Frau erinnerte an das Kind oder die Heranwachsende.
    – Weißt du noch, wie wir uns zusammen
The Gaucho
angesehen haben? fragte ich die Frau, die jetzt das Zimmer betreten hatte.
    – Ja, sagte sie.
    Sie holte sich einen Stuhl heran und stellte ihn neben meinen. Wir sahen auf ihre Mutter.
    Ich hatte die Engländer nie gehasst. Ich hatte nie einen Mann umgebracht, nur weil er Engländer oder Brite war, in meinen Augen war das gar nicht einzusehen.
    Dann kam Thatcher über uns. Geschrieben c.r.o.m.w.e.l.l. 1981 so geschrieben von Menschen, die nichts für Sinn Féin oder die IRA übrighatten, von Menschen, die sich von den Hungerstreiks und den schmutzigen Protesten abgestoßen fühlten oder die Straßenseite wechselten, wenn sie einen nördlichen Zungenschlag hörten. Thatcher war unser größter Erfolg in der Kampagne, unsere mächtigste Waffe. Die Eiserne Lady. Wir hatten sie erfunden.
    Drüben in England war sie schon seit 1979 Premierministerin, aber ihre Anfänge hatte ich verpasst. Falls Miss O’Shea jemals von ihr gesprochen hatte, war mir das entgangen. Falls sie am Samstagabend, wenn wir Nachrichten guckten, jemals auf dem Schirm gewesen war, hatte ich das nicht mitgekriegt. Aber dann war ich wieder zurück im Betrieb und stand auf den Ladeflächen von Lastern, und das ganze Land zischte ihren Namen.
Thatcher
. Ein Name, bei dem Männer plötzlich stehenblieben, Gesichter sich in jäher Wut verzerrten. Es dauerte Wochen, bis ich erfuhr, dass sie

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