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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Staaten. Hier geht’s um Menschen. Wenn ständig gestorben wird, langweilen sich die Leute.
    – Nein.
    – Doch. Und dann gehen sie auf uns los. Warum lassen wir es zu? Warum lassen wir sie sterben? Jetzt können wir die Schuld noch auf Thatcher schieben. Aber wart mal ab, wie’s in ein paar Monaten, wie’s im Sommer aussieht. Du kennst keinen von diesen Männern persönlich, oder?
    Ich antwortete nicht. Er erwartete keine Antwort.
    – Ich schon, sagte er. – Ich hab sie schon gekannt, ehe sie in den Knast kamen, und hab mit einigen selber drin gesessen. Vier Mann sind gestorben. Vier gute Freunde von mir. Und andere können’s kaum erwarten, bis sie dran sind. Ich hab das nicht gewollt, aber ich werd’s nicht los, und die Vorstellung, dass wir unsere eigenen Leute umbringen, ist grauenhaft. Ganz grauenhaft. Also untersteh dich, da oben Witze zu machen, wenn du das Republikanertum vertrittst, ist das klar?
    Er sah mich noch mal scharf an. Dann klopfte er mir auf die Schulter.
    – Hüte deine flinke Zunge, sagte er.
    Die Wahlvorbereitungen waren im Gange. Der Mann mit dem Bart wollte keine Kandidaten aufstellen. Er fürchtete die Ansteckungsgefahr durch einen Erfolg. Und war damit nicht allein. Zu viert saßen sie am Tisch.
    – Eine Falle, sagte der Mann, der gewöhnlich am Steuer saß, und alle nickten.
    – Aber es ist eine Falle, die wir nicht vermeiden können, sagte der Mann mit dem Bart. – Der Druck ist da. Bobby hat gewonnen.
    – Und ist gestorben.
    – Aye, sagte der Mann mit dem Bart. – Aber er hat gewonnen, und Thatcher hat ihn sterben lassen, hat ihn genau genommen umgebracht. Er wäre so und so gestorben, mit oder ohne Nachwahl. Also hat es funktioniert. So denken die Leute.
    – Und jetzt gibt es eine neue Chance.
    – Aye.
    – Müssen denn die Kandidaten Hungerstreiker sein?
    – Wie wär’s mit Henry?
    Keiner lachte. Sie sahen mich an. Und keiner widersprach, aber es war eindeutig ein Nein, die drei Sekunden Schweigen dröhnten wie Donnerhall. Wir saßen wieder in einem Bauernhaus. Ich war weg von der Liste, noch ehe ich die Ehre hatte, dankend ablehnen zu können. Und das war in Ordnung, es tat nicht weh, nichts in mir begehrte auf.
    Der Mann mit dem Bart wusch das Geschirr ab. Er ließ sich nicht von den anderen helfen.
    Zwei Tage, ehe Sinn Féin die Namen der Kandidaten an die Presse gab, steckte ich sie den G-Men.
    Wir saßen auf der Bank am Teich, ich in der Mitte.
    – Du bist dir ganz sicher?
    – Bin ich. Wenn sie nicht in der Zwischenzeit sterben.
    – Ist das deine Vorstellung von Humor, Henry?
    – Wenn der Mensch nicht isst, muss er sterben, sagte ich. – Das ist die Taktik.
    Er sah mich an. Die Männer in meinem Umfeld hatten angefangen, mich wahrzunehmen.
    – Dir macht das wohl noch Spaß, Henry, sagte der Mann aus Clare.
    Ich überlegte.
    – Stimmt, sagte ich.
    – Du warst fünfzig Jahre tot, sagte sie.
    – Ich hab nach dir gesucht.
    Ich nickte zu der Frau auf dem Bett rüber.
    – Das hab ich ihr auch gesagt. Jahrelang hab ich gesucht.
    – Wir haben gewartet, sagte sie. – Das war unser Leben. Auch noch nach ihrer Heirat mit diesem O’Kelly.
    Sie richtete sich auf.
    – Séamus wär noch lebendig, wenn wir nicht auf dich gewartet hätten, sagte sie.
    Ich sah sie an. Es war viel leichter, meinen Sohn zu lieben, den Jungen, der nie erwachsen geworden war. Sie hatte recht, aber ich wehrte mich.
    – Wie meinst du das? fragte ich.
    – Wir wären früher zurückgekommen, sagte sie. – Er hätte ein Bett und was zu essen gehabt statt Wind und nackter Erde.
    Sie hatte recht, daran mochte ich nicht rütteln. Sie war meine Tochter.
    Sie sah auf ihre Mutter.
    – Seit wann weiß sie das von dir?
    – Seit Jahren, sagte ich traurig.
    Ich würde wieder zum Vater werden müssen. Ich war grausamer, als ich je gewesen war, selbst mit einer Waffe in der Hand. Aber was hätte ich sagen sollen?
    – Es tut mir leid, sagte ich.
    Sie seufzte. Sie hatte die Hände um den Kopf gelegt und zog und zerrte.
    – Seit ungefähr zehn Jahren, sagte ich und strich zwei Jahrzehnte ab. – Wir sind uns zufällig begegnet.
    Sie sah mich an.
    – Ich war nach Ratheen gezogen.
    Wie umarmt man eine verlorene Tochter, die so lange verloren war, dass sie mich eingeholt hatte? Eine hagere, zornige Frau, deren Leben ich zerstört hatte, indem ich wieder lebendig geworden war? Es war lächerlich. Ich liebte sie nicht, und das Mädchen, das ich geliebt hatte, konnte ich nicht sehen. Das Zimmer war voll

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