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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Von wem ich den gekriegt hatte, wusste ich nicht, aber da hing er, links vom Herd. Ich machte einen dicken Strich durch jeden Tag und sah nach, ob ich tatsächlich an dem Tag nach dem durchgestrichenen aufgewacht war. Ich kaufte mir einen Kalender für 1983 mit einer Frau drauf, einem mageren Mädel, das Olivia Newton-John hieß.
    Saoirse guckte mich an, als sie den Kalender sah, und es dauerte eine Weile, bis sie den Mund aufmachte.
    – Hört denn das nie auf? sagte sie.
    – War auf die Hälfte runtergesetzt.
    Ich hatte ihn Anfang Februar gekauft.
    – Gab’s denn keine mit niedlichen Hunden oder Pferden?
    – Ich hab ihn auf gut Glück gegriffen, schwindelte ich.
    Morgens stieg ich aus dem Bett und schlurfte rüber zu Olivia Newton-John. Sie war überhaupt nicht mein Typ, trotzdem passte ich auf – wenn ich dran dachte –, dass mein Pyjama sauber war. Und zweimal begriff ich, noch ehe ich es zu der Tussi geschafft hatte, dass mir ganze Tage fehlten. Ich erkannte es am Lichteinfall in der Küche oder daran, dass ich am Verhungern war, zu schlapp, um mich bis zum Kalender zu schleppen. Es war ein Scheißgefühl.
    Ich holte Saoirse vom Flughafen ab. 23. Februar 1984 – ich hatte mir das Datum gemerkt. Die Ankunftszeit stand auf meinem Kalender – in dem Jahr hing Kathleen Turner an der Wand, die arme Olivia war in dem Ramschladen geblieben. Meine Blase und der Wecker, den ich mir extra gekauft hatte, holten mich aus dem Bett, und ich war zur Stelle, als sie mit ihrem Trolley in der Ankunftshalle auftauchte. Meine dreiundsechzigjährige Tochter. Ich merkte, dass sie ziemlich erledigt war, aber sie lächelte.
    Sie kam und ging. Sie wohnte nie bei mir. Sie hatte eine Unterkunft, sagte sie. Und sie hatte ein Auto. Sie brachte Benjamin mit oder kam auch allein. Er war ein netter, langweiliger Junge – wie einer von meinen Hunden, sagte sie, und das war kein Witz. Sie liebte ihn, weil er anders war als alle Männer vor ihm. Er hatte sie zur Ruhe gebracht, und deshalb mochte ich ihn, aber ich mochte ihn sowieso. Er war still, aber nicht, weil er was zu verbergen hatte. Ich sah ihn ein- oder zweimal im Jahr. Ich konnte seine Besuche so einordnen, weil die Jahre vergingen und ich die meisten im Bett oder am Bett meiner Frau verbrachte.
    – Ist das ungewöhnlich? fragte ich eines Tages.
    – Was?
    – Das hier, sagte ich und nickte zu meiner Frau hin.
    Die schnuckelige Schwester hatte sich nach Kalifornien abgesetzt. Mehr Geld und mehr Sonne, hatte sie gesagt, als sie mich zum letzten Mal auf die Wange küsste und ihr Knackarsch aus dem Zimmer, über den Gang und die Treppe herunter verschwand. Ich horchte ihren Gummisohlen nach, und sie fehlte mir. Wie ihre Nachfolgerinnen aussahen, fiel mir erst wieder ein, wenn sie mir das nächste Mal über den Weg liefen. Mit einer von ihnen sprach ich jetzt.
    – Bewusstlos zu sein, sagte ich. – Tot und lebendig.
    Sie wirkte verlegen und kriegte eine rote Nase.
    – Missis O’Kelly ist nicht tot, sagte sie.
    – Ich weiß.
    – Sie wird nicht künstlich beatmet, das sehen Sie ja.
    – Yeah.
    – Wir sind kein Krankenhaus. Wir ernähren sie und halten sie sauber. Alles andere macht sie selber, verstehen Sie?
    – Yeah.
    – Es läuft alles normal.
    – Ich hab ja auch nicht verlangt, dass sie irgendeine Scheißmaschine abstellen.
    – Keine Kraftausdrücke bitte.
    – Die ist sie gewöhnt, sagte ich, – und es macht mir auch nichts aus, hier zu sitzen, aber es geht schon so lange. Wie in einem Märchen oder so.
    Jetzt sah sie mich direkt an.
    – Ich habe sie sogar geküsst, aber das hat nicht geholfen. Sie kennen nicht zufällig ein paar hübsche Prinzen?
    – Die arbeiten alle in London auf dem Bau, sagte sie.
    – Ist es nun ungewöhnlich oder nicht?
    – Ich denke schon.
    – Hört sie das?
    Sie trat vom Bett zurück, sichtlich erschrocken über die Folgen ihrer Antwort.
    – Ja oder nein?
    – Das weiß ich nicht. Es ist alles in Ordnung. Sie wird gehen, wenn es Zeit für sie ist.
    – Okay.
    Vielleicht hatte sie recht. Sie würde gehen, wenn sie so weit war. Aber wann würde das sein? Wenn ich gestorben war? Wenn die Briten aus Irland abgezogen waren? Komme mir keiner mit Romantik und Religion! Die Hungerstreiks waren vorbei. Sie war fast hundert. Sie starb langsam, und ich fragte mich jetzt nur noch, woran ich merken würde, dass sie gestorben war. Sie wusste nicht, dass ich neben ihr saß. Sie wusste überhaupt nichts.
    Aber manchmal konnte ich das nicht glauben.
    Sie

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