Die Rueckkehr des Henry Smart
uns auf die harte Tour in Sicherheit – mitten durch die schweißtriefende Raserei der Staatsgewalt. Ich war voll von dem Blut der Jungs – ich selbst hatte keinen Tropfen verloren –, als sie mich in Sandymount absetzten und auf die Rückbank eines schwarzen Kleintransporters stießen. Ich hörte den Aufruhr hinter uns, aber wir waren draußen.
Es machte mich krank. Nicht der Aufstand, der war das Übliche, das letzte Aufbäumen eines Streiks. Was mich krank machte, war meine Nutzlosigkeit. Die Tatsache, dass ich nichts tun, mich nicht einmischen, beobachten, Zeugnis ablegen konnte. Ich konnte nicht mal allein laufen.
– Fotografiert mich, verdammt noch mal. Schaut hin, ich bin blutüberströmt. Ein alter Mann. Ein Skandal ist das.
Sie fuhren weiter.
– Heute hat’s eine Menge Blut gegeben, sagte eine neue Stimme.
Sie kam mir neu vor, ich kannte mich bei meinen Aufpassern nicht mehr aus, es war eine Kernmannschaft von fünf, sechs Mann, und bis auf den mit dem Bart konnte ich sie mir nicht lange genug merken, um sie mir einprägen oder den G-Men beschreiben zu können. Ich hörte die Namen – sie wurden mir nicht verheimlicht –, aber ich konnte sie mir nicht merken.
– Du stehst über alldem, Henry, sagte die Stimme.
Den Mann, der vorn saß, konnte ich nicht sehen. Ich lag hinten auf einer feuchten Matratze.
– Sie sollen dich nicht bluten sehen, sagte er. – Du bist nicht aus Fleisch und Blut.
– Von wegen ...
– Nein, ehrlich.
Es war aus. Die Familien griffen ein, sie wollten ihre Söhne und Männer nicht sterben lassen. Die Bewusstlosen wurden an den Tropf gehängt und überlebten. Andere sahen, dass es vorbei war, und aßen wieder, statt sich aus dieser Welt davonzumachen.
Die Lady, diese elende Schlampe, bewegte sich keinen Fuß breit. Die Hunger-Queen hätte jeden Mann und jede Frau auf der Insel sterben lassen. Immerhin – da war der Hass. Eine Niederlage war immer ein Sieg, die alte Geschichte neu erzählt, um junge Leute in die Bewegung zu locken. Eine Niederlage war undenkbar, aber es war ein grauenvoller Sieg, der atemlose Triumph des Opfers.
Wieder gab ich mich auf, ich ertrug es keinen Tag länger. Am Morgen nach dem Aufstand in Ballsbridge hämmerten sie an meine Tür, aber ich machte nicht auf. Ich konnte nicht. Ich ließ mich fallen, war weit weg von Wirklichkeit und Hungerstreiks, war wieder im brennenden Herzen von Monument Valley.
An einem Abend im November wusste ich wieder, wer ich war. Ich saß im Bett – das schaffte ich schon – und sah die Frau, die am Küchentisch stand. Ich sah sie durch die offene Schlafzimmertür, und ich wusste, wer sie war, weil die Erkenntnis und der Name den Gedanken verdrängte, es könnte Miss O’Shea sein.
Es war Saoirse. Sie schälte Kochäpfel. Es war, als hätte ich sie seit Stunden bei der Arbeit beobachtet. Eine breite Lichtbahn fiel quer durch den Raum auf zwei der Tischbeine. Ihr Kopf war nicht mehr im Licht, aber ich erkannte sie trotzdem. Miss O’Shea war im Pflegeheim, das wusste ich. (Da wusste ich noch nicht, dass ich sie monatelang nicht mehr gesehen hatte.) Saoirse stand in der Küche und schälte Äpfel. Sie war noch nie bei mir zu Hause gewesen, und ich hatte keinen Apfelschäler, aber das hatte schon seine Richtigkeit: Ich war krank gewesen, und meine Tochter pflegte mich. Ich war glücklich und zufrieden.
Ivan war tot und begraben. Der Hungerstreik war tot und begraben. Die Koalitionsregierung, die sich nach den Wahlen im Juni gebildet hatte, war so gut wie tot und begraben. Ich schlief ein, wachte auf und war immer noch derselbe Mensch. Ich wachte auf und sah einen Mann neben mir auf einem der Küchenstühle sitzen.
– Benjamin.
– Stimmt.
– Wann bist du angekommen?
– Heute früh.
– Bestens.
Ich machte die Augen zu und schlief.
We’re in the money – we’re in the money.
Ich liebte Saoirse, sobald ich aufwachte, jeden Tag. Ob sie da war oder nicht. Ich liebte ihre Mutter. Ich konnte es kaum abwarten, sie zu sehen, ihr starres rotes Gesicht anzuschauen.
– Ben oder Benjamin?
– Benjamin.
– In Ordnung.
Dann war er weg.
– Wohin?
– Nach Hause.
– Zu den Hunden.
– Richtig.
– Kommt er wieder?
– Vielleicht.
– Ist gut.
Manchmal wachte ich allein auf, dann wieder war sie da, irgendwo im Haus – es war nicht wichtig. Das Radio lief leise.
Ich beugte mich aus dem Bett.
– Mach’s mal ein bisschen lauter.
– Ich kann es dir bringen.
– Nein, sagte ich. – Dreh nur ein
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