Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
was sie sagen wird, wenn man sie fragt, was ihre Mutter tut.«
    Das konnte ich nicht beantworten, und deshalb wechselte ich das Thema.
    »Ich finde es toll, dass ihr Blick auf die Welt so unverstellt ist«, sagte ich, als ich das Bild wieder ansah. »So unschuldig, weißt du?«
    »Ja, ich weiß. Das finde ich auch sehr schön. Aber ich kann verstehen, wenn du nicht willst, dass sie denkt, du schlägst dich da draußen buchstäblich mit Dämonen herum. Warum hast du ihr das nicht erklärt?«
    Ich schüttelte den Kopf und dachte an eine Geschichte.
    »Als ich ein Kind war und noch bei meiner Mutter, gab es mal eine Zeit, in der sie ein Auto hatte. Einen zweifarbigen Plymouth Belvedere mit Druckknopfautomatik. Ich glaube, ihr Anwalt hatte ihn ihr zu Verfügung gestellt oder irgendwas in der Art. Ein paar Jahre. Jedenfalls beschloss sie plötzlich, Urlaub zu machen und quer durchs ganze Land zu fahren. Wir packten also unsere Sachen ins Auto und fuhren einfach los, sie und ich.
    Und dann, irgendwo im Süden – wo genau, weiß ich nicht mehr – führen wir auf eine Tankstelle, und dort gab es zwei Trinkwasserhähne. Mit Schildern, weißt du. Auf einem stand WEISS und auf dem anderen FARBIG. Und ich ging zu dem mit dem Schild FARBIG, weil ich sehen wollte, welche Farbe das Wasser hatte. Bevor ich ihn erreichte, riss mich meine Mutter zurück und erklärte mir das Ganze.
    Wenn ich daran zurückdenke, wünsche ich mir irgendwie, sie hätte mich einfach das Wasser ansehen lassen und mir nichts erklärt.«
    Eleanor lächelte über die Geschichte.
    »Wie alt warst du damals?«
    »Ich weiß nicht mehr. Acht vielleicht.«
    Dann stand sie auf und kam zu mir. Sie küsste mich auf die Wange, und ich ließ sie. Ich legte ihr den Arm locker um die Taille.
    »Viel Glück mit deinen Dämonen, Harry.«
    »Ja.«
    »Falls du deine Meinung ändern solltest, ich bin hier. Wir sind hier.«
    Ich nickte.
    »Sie wird deine Meinung ändern, Eleanor. Wart nur ab.«
    Sie lächelte, aber auf eine traurige Art, und liebkoste mit der Hand zärtlich mein Kinn.
    »Passt du auf, dass die Tür abgeschlossen ist, wenn du gehst?«
    »Immer.«
    Ich ließ sie los und sah zu, wie sie aus der Küche ging. Dann blickte ich auf die Zeichnung des Mannes, der mit seinem Dämon kämpfte. Auf dem Bild hatte meine Tochter ein Lächeln in mein Gesicht gemacht.

36
    B
    evor ich zu meiner kleinen Wohnung im Double X hinaufstieg, ging ich ins Büro und sagte Mr. Gupta, dem Nachtportier, dass ich ausziehen würde. Er erklärte mir, weil ich die Wohnung auf wöchentlicher Basis gemietet hätte, sei die Miete bereits für die ganze Woche von meiner Kreditkarte abgebucht worden. Ich sagte ihm, das mache nichts und ich würde trotzdem ausziehen. Ich sagte ihm, ich würde den Schlüssel auf dem kleinen Esstisch lassen, sobald ich meine Sachen gepackt hätte. Ich wollte das Büro schon verlassen, doch dann drehte ich mich noch einmal um und fragte ihn nach meiner Nachbarin, Jane.
    »Ja, sie ist auch ausgezogen. Die gleiche Geschichte.«
    »Wie meinen Sie das, die gleiche Geschichte?«
    »Wir berechnen eine Woche, aber sie nicht bleiben eine Woche.«
    »Dürfte ich Sie vielleicht fragen, wie sie mit Nachnamen hieß? Sie hat ihn mir nie gesagt.«
    »Sie ist Jane Davis. Sie mögen sie?«
    »Ja, sie war nett. Wir haben uns von Balkon zu Balkon unterhalten. Ich bin nicht dazu gekommen, ihr Wiedersehen zu sagen. Sie hat nicht zufällig ihre neue Adresse oder sonst etwas hinterlassen?«
    Das entlockte Gupta ein Lächeln. Für jemanden mit so dunkler Haut hatte er sehr rosafarbenes Zahnfleisch.
    »Keine Adresse«, sagte er. »Nicht die.«
    Ich nickte zum Dank für die Auskunft. Ich verließ das Büro und ging die Treppe hinauf und den Außengang zu meinem Zimmer hinunter.
    Ich brauchte keine fünf Minuten, um meine Sachen zu packen. Ich hatte ein paar Hemden und Hosen auf Bügeln. Dann nahm ich dieselbe Schachtel aus dem Schrank, in der ich alles hierher gebracht hatte, und füllte sie mit dem Rest meiner Habseligkeiten und ein paar Spielsachen, die ich für Maddie in der Wohnung gehabt hatte. Buddy Lockridge hatte gar nicht so weit daneben gelegen, als er mich Koffer-Harry genannt hatte. Aber Bierträger-Harry wäre besser gewesen.
    Bevor ich ging, sah ich in den Eisschrank und stellte fest, dass ich noch eine Flasche Bier hatte. Ich nahm sie heraus und öffnete sie. Ein Bier für unterwegs konnte nicht schaden. Ich hatte vor einer längeren Fahrt schon Schlimmeres getan. Ich

Weitere Kostenlose Bücher