Die Rückkehr des Poeten
merkte, dass sie dazu übergegangen war, mich mit meinem Nachnamen anzusprechen, seit wir uns auf dem Bett meiner kleinen Wohnung in Las Vegas geliebt hatten. Ich fragte mich, ob das Teil unserer Abmachung war, uns wie Kollegen zu verhalten, oder eine Art umgekehrter Zärtlichkeitsbezeigung: Man sprach jemanden, mit dem man höchst intim gewesen war, mit seinem am wenigsten intimen Namen an.
»Ich wollte dich unbedingt hier haben, Rachel.«
»Na gut, hier bin ich. Erzähl endlich.«
»Es ist der Poet, der den großen Plan hat. Backus.«
»Was hat er vor?«
»Erinnerst du dich an die Bücher, von denen ich dir gestern erzählt habe, die Bücher in der Mülltonne und dieser Gedichtband, den ich herausgefischt habe?«
»Ja.«
»Ich glaube, ich weiß jetzt, was das alles bedeutet.«
Ich erzählte ihr von der zum Teil verbrannten Quittung, die ich gesehen hatte, und von meiner Vermutung, dass es sich bei Book Car um Book Carnival handelte, die Buchhandlung des pensionierten Detective Ed Thomas, den der Poet acht Jahre zuvor als letztes Opfer im Visier gehabt hatte.
»Wegen dieses Buchs in der Mülltonne glaubst du also, er ist hier und will den Mord nachholen, bei dem wir ihm vor acht Jahren einen Strich durch die Rechnung gemacht haben.«
»Genau.«
»Das ist aber ein bisschen arg weit hergeholt, Bosch. Hättest du mir das nicht erzählen können, bevor ich meine berufliche Karriere aufs Spiel gesetzt habe und hierher geflogen bin.«
»Es gibt keine Zufälle, vor allem nicht solche.«
»Na schön, dann schieß mal los. Gib mir das Profil. Erkläre mir den großen Plan des Poeten.«
»Also, Verbrechensprofile zu erstellen ist Sache des FBI. Das werde ich nicht tun. Aber ich glaube, dass er genau das vorhat. Ich glaube, der Wohnwagen und die Explosion, das sollte alles nur so aussehen wie das große Finale. In Wirklichkeit hat er vor, Ed Thomas umzubringen, sobald der Direktor vor die Fernsehkameras tritt und sagt, ich glaube, wir haben ihn. Das hätte echten Symbolcharakter. Es wäre die große Geste, die ultimative Verarschung. Es wäre das totale Schachmatt, Rachel. Während sich das FBI auf die Brust trommelt, legt er vor seiner Nase den Mann um, mit dessen Rettung es beim letzten Mal so groß angegeben hat.«
»Und wieso die Bücher in der Mülltonne? Wie passt das alles ins Bild?«
»Ich glaube, das waren alles Bücher, die er von Ed Thomas gekauft hat. Entweder auf dem Versandweg oder vielleicht sogar im Laden. Vielleicht waren sie irgendwie gekennzeichnet und hätten mit der Buchhandlung in Verbindung gebracht werden können. Und weil er das nicht wollte, verbrannte er sie. Er wollte nicht riskieren, dass sie die Explosion vielleicht überstanden.
Andererseits hätte das FBI nach Ed Thomas’ Tod und Backus’ Verschwinden die Verbindung zur Buchhandlung entdeckt und begriffen, wie lange und wie gründlich Backus alles geplant hatte. Es hätte seine Genialität unter Beweis gestellt. Und genau darum geht es ihm doch, oder nicht? Du bist hier der Profiler. Korrigiere mich, wenn ich was Falsches sage.«
»Ich war der Profiler. Im Moment bearbeite ich Straftaten in den Reservaten von North und South Dakota.«
Der Verkehr begann nachzulassen, als wir an Downtown L. A. vorbeikamen, wo die Türme des Bankenviertels in den oberen Dunstschichten des Unwetters verschwanden. Für mich hatte die Stadt bei Regen immer etwas Verwunschenes. Ihr haftete dann etwas Unheilvolles an, das mich ausnahmslos bedrückte und mir das Gefühl vermittelte, auf der Welt wäre etwas losgebrochen und stimmte nicht.
»Die Sache hat nur einen Haken, Bosch.«
»Und der wäre?«
»Der Direktor hält heute zwar eine Pressekonferenz, aber er wird nicht sagen, dass wir den Poeten gefasst haben. Genau wie du glauben auch wir nicht, dass der Tote im Wohnwagen Backus war.«
»Na schön, das weiß Backus aber nicht. Er wird es sich wie jedermann sonst auf CNN ansehen. An seinem Vorhaben wird das allerdings nichts ändern. So oder so wird er Ed Thomas heute umbringen. Er wird uns damit so oder so zu verstehen geben: › Ich bin besser und schlauer als ihr. ‹«
Sie nickte und dachte eine Weile darüber nach.
»Also gut«, sagte sie schließlich. »Und wenn ich dir das abnehme? Wie gehen wir weiter vor? Hast du Ed Thomas schon angerufen?«
»Ich weiß nicht, wie wir weiter vorgehen sollen, und Ed Thomas habe ich noch nicht angerufen. Wir fahren jetzt zu seiner Buchhandlung. Sie ist unten in Orange und öffnet um elf. Ich habe
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