Die Rückkehr des Poeten
möglicherweise unsere einzige Chance verspielten, Backus zu fassen, wenn dieser Thomas beobachtete und irgendeine Abweichung von der Norm bemerkte. Deshalb gingen Rachel und ich sehr egoistisch mit Ed Thomas’ Leben um. Mir war jedoch klar, dass ich mich hinterher mit den entsprechenden Schuldgefühlen herumschlagen müsste. Die Frage war nur, wie groß diese Schuldgefühle je nach dem Ausgang der Geschichte wären.
Die ersten zwei Kunden des Tages waren Frauen. Sie kamen, kurz nachdem Thomas die Tür aufgeschlossen hatte, in den Laden. Und während sie in der Buchhandlung stöberten, parkte ein Mann vor dem Eingang und ging ebenfalls in den Laden. Er war zu jung, um Backus zu sein, sodass bei uns die Alarmglocken noch nicht mit voller Lautstärke losschrillten. Er verließ die Buchhandlung überstürzt und ohne ein Buch gekauft zu haben. Als etwas später auch die zwei Frauen gingen, jede mit einer Tüte voller Bücher, stieg ich aus dem Mercedes und rannte über den Parkplatz und unter das Vordach des Waffengeschäfts.
Rachel und ich hatten zwar beschlossen, Thomas nicht in unsere Ermittlungen einzubeziehen, aber das sollte mich nicht davon abhalten, zu Erkundungszwecken seinen Laden zu betreten. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass ich unter einem Vorwand in die Buchhandlung ginge, mich Thomas beiläufig als ehemaliger Kollege zu erkennen gäbe und herauszufinden versuchte, ob er vielleicht schon Verdacht geschöpft hatte, dass er beobachtet wurde. Sobald also die ersten Kunden des Tages in den Laden gekommen und wieder gegangen waren, schritt ich zur Tat.
Zuerst drückte ich mich in das Waffengeschäft, weil es der Stelle, wo ich das Auto abgestellt hatte, am nächsten war und weil es jemandem, der das Einkaufszentrum beobachtete, komisch vorgekommen wäre, dass ich am einen Ende parkte und zu der Buchhandlung am anderen Ende ging. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die blitzenden Feuerwaffen, die in der Glasvitrine ausgestellt waren, bevor ich mich den Schießscheiben an der Rückwand zuwandte. Es gab die üblichen Silhouetten, aber auch Modelle mit den Gesichtern von Osama bin Laden und Saddam Hussein. Ich nahm an, das waren die Verkaufsschlager.
Als mich der Mann hinter dem Ladentisch fragte, ob er mir helfen könne, sagte ich ihm, ich wolle mich nur ein bisschen umsehen, und verließ den Laden wieder. Ich ging in Richtung Book Carnival los, blieb aber vorher vor dem leeren Laden stehen. Durch das mit Farbe überschmierte Schaufenster konnte ich mit Buchtiteln beschriftete Schachteln sehen. Mir wurde klar, dass Thomas den Laden als Lager für seine Bücher benutzte. Es gab ein ZU VERMIETEN-Schild und eine Telefonnummer, die ich mir für den Fall, dass sie uns bei späteren Nachforschungen von Nutzen sein könnte, einprägte.
Als ich Book Carnival betrat, war Ed Thomas hinter dem Ladentisch. Ich lächelte, und er lächelte zum Zeichen des Erkennens, aber ich merkte, dass er ein paar Sekunden brauchte, um das Gesicht, das er erkannte, einzuordnen.
»Harry Bosch«, sagte er, als er es geschafft hatte.
»Hallo, Ed, wie geht’s?«
Wir gaben uns die Hand, und seine Augen hinter der Brille hatten eine Wärme, die mir gefiel. Ich war ziemlich sicher, dass ich ihn seit seinem Abschiedsessen vor sechs oder sieben Jahren in der Sportsman’s Lodge oben im Valley nicht mehr gesehen hatte. In seinem Haar war mehr Weiß als etwas anderes. Aber er war immer noch groß und dünn, wie ich ihn von früher in Erinnerung hatte. Er hatte an Tatorten dazu geneigt, seinen Notizblock beim Schreiben sehr hoch und dicht an sein Gesicht zu halten. Das hatte daran gelegen, dass seine Brille seinen Augen immer ein oder zwei Optikerbesuche hinterhergehinkt war. Diese Haltung mit den erhobenen Armen trug ihm im Morddezernat den Spitznamen Gottesanbeterin ein. Das fiel mir jetzt plötzlich wieder ein. Ich erinnerte mich, dass auf der Einladung zu seiner Abschiedsparty eine Karikatur von ihm als Superman mit Umhang und Maske und einem großen G auf der Brust gewesen war.
»Na, kann man mit Büchern auch Geld verdienen?«
»Mehr als du denkst, Harry. Was hat dich denn aus der großen bösen Stadt hier runter verschlagen? Ich habe gehört, du hast vor zwei Jahren auch den Job an den Nagel gehängt.«
»Ja, hab ich. Aber ich habe vor, wieder einzusteigen.«
»Fehlt es dir?«
»Ja, in gewisser Weise schon. Mal sehen, wie es mir dann geht.«
Das schien ihn zu überraschen, und mir wurde klar, dass ihm die Polizei nicht im
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