Die Rückkehr des Sherlock Holmes
in Trance an. »Sie listiger, listiger Teufel!« war alles, was er sagen konnte.
»Ich habe Sie noch nicht vorgestellt«, sagte Holmes. »Dies, Gentlemen, ist Colonel Sebastian Moran, dereinst bei der Indischen Armee Ihrer Majestät und der beste Großwildjäger, den unser Östliches Empire je hervorgebracht hat. Gehe ich recht in der Annahme, daß Ihre Beute an Tigern noch immer unübertroffen ist?«
Der wütende Alte sagte nichts, sondern starrte unverwandt und trotzig meinen Gefährten an. Mit seinen wilden Augen und dem borstigen Schnurrbart sah er selbst einem Tiger erstaunlich ähnlich.
»Mich wundert, daß meine so simple List einen so alten
shikari
6 täuschen konnte«, sagte Holmes. »Sie muß Ihnen doch vertraut sein. Haben Sie nie ein Zicklein unter einem Baum angebunden, oben mit Ihrer Büchse gelegen und darauf gelauert, daß der Köder Ihnen den Tiger heranlocke? Dies leere Haus ist mein Baum, und Sie sind mein Tiger. Sie hatten vermutlich noch weitere Gewehre in Reserve, falls mehrere Tiger auftauchen sollten, oder in der unwahrscheinlichen Annahme, Sie könnten Ihr Ziel verfehlen. Dies« – er wies umher – »sind meine anderen Gewehre. Die Parallele ist vollkommen.«
Colonel Moran sprang mit einem wütenden Knurren vor, doch die Polizisten zogen ihn zurück. Die Wut auf seinem Gesicht war schrecklich anzusehen.
»Ich gestehe, daß Sie mir eine kleine Überraschung bereitet haben«, sagte Holmes. »Ich habe nicht vorausgesehen, daß Sie sich dieses leere Haus und dieses praktische Vorderfenster zunutze machen würden. Ich hatte mir vorgestellt, Sie würden von der Straße aus operieren, wo mein Freund Lestrade und seine munteren Männer Ihrer harrten. Von dieser Ausnahme abgesehen, lief alles so, wie ich erwartet habe.«
Colonel Moran wandte sich an den amtlichen Detektiv.
»Sie mögen einen gerechten Grund für meine Verhaftung haben oder nicht«, sagte er, »aber zumindest kann es keinen Grund dafür geben, warum ich mir die Spötteleien dieser Person gefallen lassen sollte. Wenn ich in der Hand des Gesetzes bin, lassen Sie die Dinge auch auf gesetzliche Art geschehen.«
»Nun, das klingt vernünftig genug«, sagte Lestrade. »Sie haben weiter nichts zu sagen, Mr. Holmes, bevor wir gehen?«
Holmes hatte das starke Luftgewehr vom Boden aufgehoben und untersuchte jetzt seinen Mechanismus.
»Eine staunenswerte und einmalige Waffe«, sagte er, »geräuschlos und von gewaltiger Kraft. Der blinde deutsche Mechaniker von Herder 7 , der sie auf Geheiß des verblichenen Professor Moriarty konstruierte, ist mir bekannt. Jahrelang war ich mir ihrer Existenz bewußt, obgleich ich nie zuvor die Gelegenheit hatte, sie zu handhaben. Ich empfehle sie sehr Ihrer Aufmerksamkeit, Lestrade, und ebenfalls die Kugeln, die zu ihr passen.«
»Sie können sich darauf verlassen, daß wir dies untersuchen, Mr. Holmes«, sagte Lestrade, während sich die ganze Gesellschaft auf die Tür zu bewegte. »Gibt es sonst noch etwas zu sagen?«
»Nur die Frage, welche Anklage Sie vorzuziehen beabsichtigen?«
»Welche Anklage, Sir? Nun, selbstverständlich den versuchten Mord an Sherlock Holmes.«
»Nicht doch, Lestrade. Ich habe nicht vor, in dieser Angelegenheit überhaupt zu figurieren. Ihnen und einzig Ihnen gebührt das Verdienst der bemerkenswerten Verhaftung, die Sie erzielt haben. Ja, Lestrade, ich gratuliere Ihnen! Mit der Ihnen eigenen glücklichen Mischung aus Schlauheit und Wagemut haben Sie ihn erwischt.«
»Ihn erwischt! Wen erwischt, Mr. Holmes?«
»Den Mann, den die gesamte Polizei vergeblich suchte – Colonel Sebastian Moran, der am dreißigsten vorigen Monats den Ehrenwerten Ronald Adair mit einem Mantelgeschoß aus einem Luftgewehr durch das offene Vorderfenster im zweiten Stock des Hauses Park Lane No. 427 erschossen hat. So lautet die Anklage, Lestrade. Und nun, Watson, falls Sie den Zug von einem zerbrochenen Fenster vertragen können, denke ich, eine halbe Stunde in meinem Arbeitszimmer bei einer Zigarre könnte Ihnen eine nützliche Unterhaltung bieten.«
Unsere alten Gemächer waren unter der Aufsicht von Mycroft Holmes und der unmittelbaren Fürsorge von Mrs. Hudson unverändert geblieben. Beim Eintreten bemerkte ich freilich eine ungewohnte Sauberkeit, doch waren die alten Wahrzeichen noch alle an ihrem Platz: die Chemie-Ecke und der säurebefleckte Brettertisch. In einem Regal stand eine Reihe beeindruckender Sammelalben und Nachschlagewerke, die so mancher unserer Mitbürger mit dem
Weitere Kostenlose Bücher