Die Rückkehr des Sherlock Holmes
Ihnen so gut helfen, wie ich kann«, sagte Holmes, erhob sich und zog seinen Mantel an. »Diesem Fall mangelt es durchaus nicht an Interesse. Hat, nachdem die Papiere bei Ihnen eingetroffen waren, irgend jemand Sie in Ihrem Zimmer besucht?«
»Ja, der junge Daulat Ras, ein indischer Student, der im selben Stockwerk wohnt, kam herein, um mich über ein paar Einzelheiten wegen der Prüfung zu befragen.«
»Zu der er zugelassen ist?«
»Ja.«
»Und die Papiere lagen auf Ihrem Tisch?«
»Nach meinem besten Wissen waren sie zusammengerollt.«
»Hätten aber als Fahnenabzüge erkannt werden können?«
»Schon möglich.«
»Sonst kam niemand in Ihr Zimmer?«
»Niemand.«
»War irgend jemandem bekannt, daß diese Fahnen bei Ihnen waren?«
»Niemandem außer dem Drucker.«
»Wußte dieser Bannister davon?«
»Nein, bestimmt nicht. Niemand wußte davon.«
»Wo ist Bannister jetzt?«
»Es ging ihm sehr schlecht, dem armen Burschen! Ich ließ ihn halb ohnmächtig in dem Sessel liegen. Ich war sehr in Eile, zu Ihnen zu kommen.«
»Sie haben die Tür offengelassen?«
»Vorher habe ich aber die Papiere eingeschlossen.«
»Dann, Mr. Soames, läuft das Ganze darauf hinaus, daß, falls nicht der indische Student die Rolle als Fahnenabzüge erkannt hat, derjenige, der sich daran zu schaffen gemacht hat, rein zufällig darauf gestoßen ist, ohne zu wissen, daß sie da waren.«
»So will es mir scheinen.«
Holmes setzte ein rätselhaftes Lächeln auf.
»Nun«, sagte er, »sehen wir uns das mal an. Kein Fall für Sie, Watson – etwas Geistiges, nichts Physisches. Aber schön: Kommen Sie mit, wenn Sie wollen. Nun, Mr. Soames – ich stehe Ihnen zur Verfügung!«
Aus dem Wohnzimmer unseres Klienten sah man durch ein breites, niedriges vergittertes Fenster auf den alten flechtenverfärbten Hof des altehrwürdigen Colleges. Eine Tür mit gotischem Bogen führte auf eine abgetretene Steintreppe. Das Tutorenzimmer lag im Erdgeschoß. Darüber bewohnten drei Studenten jeweils ein Stockwerk. Es dämmerte bereits, als wir den Schauplatz unseres Falles betraten. Holmes blieb stehen und schaute angelegentlich nach dem Fenster. Dann ging er darauf zu, stellte sich mit gerecktem Hals auf die Zehenspitzen und blickte in das Zimmer.
»Er muß durch die Tür hineingekommen sein. Es läßt sich nur diese eine Scheibe öffnen«, sagte unser gelehrter Führer.
»Du liebe Zeit!« sagte Holmes und lächelte unseren Begleiter eigentümlich an. »Nun, wenn hier nichts zu erfahren ist, sollten wir wohl besser hineingehen.«
Der Dozent schloß die Außentür auf und führte uns in sein Zimmer. Wir blieben am Eingang stehen, während Holmes den Teppich untersuchte. –
»Ich furchte, hier gibt’s keine Spuren«, sagte er. »An einem so trockenen Tag kann man kaum auf welche rechnen. Ihr Diener scheint sich ganz erholt zu haben. Sie sagen, Sie hätten ihn in einem Sessel zurückgelassen. In welchem Sessel?«
»In dem am Fenster.«
»Aha. An dem kleinen Tisch. Sie können jetzt hereinkommen. Mit dem Teppich bin ich fertig. Nehmen wir uns zunächst den kleinen Tisch vor. Was geschehen ist, liegt natürlich auf der Hand. Der Mann kam herein und nahm die Papiere Blatt für Blatt von dem Tisch in der Mitte. Er holte sie zu dem Tisch am Fenster, weil er von dort aus sehen konnte, wenn Sie über den Hof herankämen, und so seine Flucht bewerkstelligen konnte.«
»Das konnte er eigentlich nicht«, sagte Soames, »weil ich durch den Nebeneingang gekommen bin.«
»Ah, das ist gut! Nun, jedenfalls war das seine Absicht. Lassen Sie mich die drei Streifen sehen. Nein – keine Fingerabdrücke! Nun, diesen hier holte er als ersten und schrieb ihn ab. Wie lange wird er dafür, unter Ausnutzung aller möglichen Abkürzungen, gebraucht haben? Mindestens eine Viertelstunde. Dann warf er ihn hin und holte den nächsten. Er war noch damit beschäftigt, als Ihre Rückkehr ihn veranlaßte, hastig den Rückzug anzutreten –
sehr
hastig, denn er hatte nicht mehr die Zeit, die Papiere zurückzulegen, was Ihnen seine Anwesenheit verraten hat. Ihnen sind keine eiligen Schritte auf der Treppe aufgefallen, als Sie durch die Außentür traten?«
»Nein, das kann ich nicht behaupten.«
»Nun, er hetzte sich beim Schreiben so sehr, daß ihm der Bleistift abbrach und er ihn, wie Sie sehen, neu anspitzen mußte. Das ist interessant, Watson. Es war kein gewöhnlicher Bleistift. Er war größer als normal und ziemlich weich. Außen war er dunkelblau, der Name
Weitere Kostenlose Bücher