Die Rückkehr des Sherlock Holmes
Karriere zu beenden gedroht hatte, abgebracht. Ich wußte jetzt, daß es ihn unter normalen Umständen nicht mehr nach diesem künstlichen Stimulans verlangte; doch war mir durchaus bewußt, daß der Feind nicht tot war, sondern lediglich schlummerte; und in Zeiten der Müßigkeit sah ich deutlich, daß dies kein tiefer Schlummer und das Erwachen stets nahe war, wenn Holmes’ asketisches Antlitz jenen verzerrten Ausdruck annahm und seine tiefliegenden und unergründlichen Augen brütend dreinzuschauen begannen. Ich segnete daher diesen Mr. Overton, wer immer das auch sein mochte, da er mit seiner schleierhaften Botschaft jene bedenkliche Ruhe durchbrochen hatte, die meinen Freund in größere Gefahren brachte als all die Stürme seines bewegten Lebens.
Wie erwartet folgte dem Telegramm bald sein Absender; die Visitenkarte – Mr. Cyril Overton, Trinity College, Cambridge – meldete die Ankunft eines enormen jungen Mannes, zwei Zentner nichts als Fleisch und Knochen, der die Eingangstür mit seinen breiten Schultern ausfüllte und uns beide mit einem hübschen Gesicht, das von Sorge verhärmt war, der Reihe nach ansah.
»Mr. Sherlock Holmes?«
Mein Gefährte verbeugte sich.
»Ich war unten bei Scotland Yard, Mr. Holmes. Ich habe mit Inspektor Hopkins gesprochen. Er hat mir geraten, mich an Sie zu wenden. Er sagte, der Fall liege, soweit er sehen könne, mehr auf Ihrer Linie als auf der der regulären Polizei.«
»Nehmen Sie bitte Platz und erzählen mir, was los ist.«
»Es ist entsetzlich, Mr. Holmes, einfach entsetzlich! Erstaunlich, daß ich noch keine grauen Haare habe. Godfrey Staunton – Sie haben natürlich schon von ihm gehört? Er ist schlichtweg der Pol, um den sich die ganze Mannschaft dreht. Eher würde ich zwei Stürmer weglassen, und dafür Godfrey in meiner Three-Quarter-Linie haben. Ob beim Zuspiel, beim Tackling oder beim Dribbeln 31 – niemand kann ihm das Wasser reichen; und außerdem ist er ein kluger Kopf und kann uns alle zusammenhalten. Was soll ich nur machen? Das frage ich Sie, Mr. Holmes. Moorhouse ist unser erster Ersatzspieler, aber der ist gelernter Halfback und wirft sich immer mitten in den Pulk, anstatt draußen auf der Touch-line zu bleiben. Freilich ist er ein guter Kicker, aber andererseits hat er kein Urteilsvermögen, und er sprintet miserabel. Morton oder Johnson, die Stürmer von Oxford, würden ihn glatt überlaufen. Stevenson ist zwar schnell genug, könnte aber nicht von der fünfundzwanziger Linie aus droppen, und einen Three-Quarter, der weder punten noch droppen kann, kann man auch nicht bloß wegen seiner Schnelligkeit einsetzen. Nein, Mr. Holmes, wir sind erledigt, wenn Sie mir nicht helfen können, Godfrey Staunton zu finden.«
Mit amüsiertem Staunen hatte mein Freund diese lange Rede angehört, die mit außerordentlichem Nachdruck und Ernst hervorgehaspelt wurde, wobei eine muskulöse Hand jeden Punkt durch einen Schlag auf das Knie des Sprechers eindringlich betonte. Als unser Besucher schwieg, streckte Holmes eine Hand aus und zog den Band »S« seiner Kollektaneen aus dem Regal. Diesmal schürfte er vergeblich in dieser Mine mannigfaltiger Information.
»Hier haben wir Arthur H. Staunton, den aufstrebenden Fälscher«, sagte er, »und es gab einen Henry Staunton, dem ich auf den Galgen verholfen habe, aber Godfrey Staunton ist ein mir neuer Name.«
Nun war es an unserem Besucher, überrascht dreinzuschauen.
»Aber Mr. Holmes, ich dachte, Sie kennen sich aus«, sagte er. »Wenn Sie noch nie von Godfrey Staunton gehört haben, dann muß ich auch vermuten, daß Sie Cyril Overton nicht kennen?«
Holmes schüttelte gutmütig den Kopf.
»Großer Scott 32 !« rief der Athlet. »Ich war doch erster Ersatzspieler beim Spiel England gegen Wales, und dies ganze Jahr schon bin ich Kapitän der Unimannschaft. Aber das heißt ja nichts. Ich hätte nicht gedacht, daß es in England auch nur einen einzigen gäbe, der Godfrey Staunton nicht kennt, den größten Three-Quarter überhaupt: Cambridge, Blackheath und fünf Länderspiele. Großer Gott! Mr. Holmes, wo
leben
Sie denn nur?«
Holmes lachte über die naive Verblüffung des jungen Riesen.
»Sie leben in einer anderen Welt als ich, Mr. Overton, in einer freundlicheren und gesünderen Welt. Meine weitverzweigte Tätigkeit erstreckt sich in manche Bereiche der Gesellschaft, wenngleich nie, glücklicherweise, in den Amateursport, der das Beste und Vernünftigste darstellt, was England zu bieten hat. Ihr
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