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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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zurück, um die Tür zu schließen.
    »Ihr Vater ist alt, er wird bald sterben. Ich bin noch jung, aber vielleicht werde ich auch bald sterben. Ich habe Krebs. Es würde es für mich leichter machen, wenn ich meine Fragen hätte stellen können.«
    Anna Jacobi betrachtete ihn durch die dicken Brillengläser. Sie benutzte ein starkes Parfüm, das Stefan in der Nase kitzelte.
    »Ich nehme an, bei einer tödlichen Krankheit lügt man nicht?«
    »Wenn Sie wollen, können Sie die Telefonnummer meiner Ärztin in Boras bekommen.«
    »Ich werde Vater fragen. Aber falls er ablehnt, muß ich Sie bitten zu gehen.«
    Stefan versprach es, und sie schloß die Tür. Die Musik drang durch die Wände. Er wartete. Er glaubte allmählich, daß sie die Tür für immer geschlossen hatte, als sie zurückkam.
    »Nicht länger als eine Viertelstunde«, sagte sie. »Ich schaue auf die Uhr.«
    Sie führte ihn auf eine der Schmalseiten des Hauses. Die Musik war immer noch zu hören, aber jetzt leiser. Sie öffnete die Tür zu einem großen Raum mit kahlen Wänden, in dessen Mitte ein Krankenhausbett stand.
    »Sprechen Sie in sein linkes Ohr«, sagte sie, »auf dem rechten hört er nicht mehr.«
    Sie schloß die Tür hinter ihm. Stefan meinte, eine gewisse Müdigkeit oder Irritation über den hinfälligen Vater gespürt zu haben. Er erinnerte Stefan an Emil Wetterstedt. Noch ein dünner Vogel, der auf den Tod wartete.
    Jacobi wandte den Kopf und sah ihn an. Er machte mit einer Hand ein Zeichen, daß Stefan sich auf einen Stuhl neben dem Bett setzen sollte.
    »Die Musik ist gleich zu Ende«, sagte er. »Wenn Sie entschuldigen wollen. Ich bin entschieden der Ansicht, daß es ein Verbrechen ist, Musik von Johann Sebastian Bach dadurch zu unterbrechen, daß man ein Gespräch beginnt.«
    Stefan saß schweigend auf dem Stuhl und wartete. Jacobi hatte die Musik mittels einer Fernbedienung wieder lauter gestellt, und die Töne erfüllten den Raum. Der alte Mann lag mit geschlossenen Augen da und lauschte.
    Als die Musik geendet hatte, drückte er mit einem zitternden Finger auf die Fernbedienung, die er sich auf den Bauch gelegt hatte.
    »Ich werde bald sterben«, sagte Jacobi. »Ich finde, es ist eine große Gnade gewesen, in einer Zeit nach Bach zu leben. In meiner persönlichen Zeitrechnung teile ich die Geschichte in die Welt vor und nach Bach ein. Ein Autor, dessen Namen ich vergessen habe, hat darüber Gedichte geschrieben. Jetzt ist mir die große Freude vergönnt, meine letzte Zeit in Gesellschaft von Bachs Musik zu verbringen.«
    Er legte den Kopf in den Kissen zurecht. »Aber jetzt ist die Musik zu Ende, und wir können uns unterhalten. Was wollten Sie?«
    »Ich heiße Stefan Lindman.«
    »Das hat mir meine Tochter schon erzählt«, sagte Jacobi ungeduldig. »Ich erinnere mich an Ihren Vater. Ich habe sein Testament aufgesetzt. Darüber wollten Sie doch mit mir sprechen. Aber wie kommen Sie darauf, daß ich mich an den Inhalt eines einzelnen Testaments erinnern könnte? Ich habe sicher Tausende aufgesetzt, in den siebenundvierzig Jahren, die ich als Anwalt praktiziert habe.«
    »Es war eine Schenkung an eine Stiftung, die > Schwedens Wohl< hieß.«
    »Vielleicht erinnere ich mich, vielleicht nicht.«
    »Es hat sich gezeigt, daß diese Stiftung Teil einer nationalsozialistischen Organisation hier in Schweden ist.«
    Jacobi trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Decke. »Der Nationalsozialismus ist mit Hitler gestorben.«
    »Dennoch scheint es so zu sein, daß immer noch viele Schweden diese Organisation unterstützen. Und es schließen sich ihr auch jüngere Menschen an.«
    Jacobi betrachtete ihn mit festem Blick. »Die Leute sammeln Briefmarken oder Streichholzetiketten. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß es auch Menschen gibt, die angeschimmelte politische Ideale sammeln. Menschen haben ihr Leben von jeher mit Sinnlosigkeiten vergeudet. Für unsere Zeit gilt, daß die Menschen abstürzen, während sie auf all diese nichtssagenden und menschenverachtenden Fernsehserien starren, die kein Ende nehmen.«
    »Mein Vater hat eine Schenkung für diese Organisation vorgenommen. Sie haben ihn gekannt. Ist er ein Nazi gewesen?«
    »Ich habe Ihren Vater als national und patriotisch gesinnt kennengelernt, sonst nichts.«
    »Und meine Mutter?«
    »Mit ihr habe ich sehr wenig Kontakt gehabt. Lebt sie noch?«
    »Sie ist tot.«
    Jacobi räusperte sich ungeduldig. »Warum sind Sie eigentlich hergekommen?«
    »Um Sie zu fragen, ob mein Vater

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