Die Rückkehr des Tanzlehrers
Nazi gewesen ist.«
»Warum sollte ich darauf antworten können?«
»Es gibt nicht mehr so viele, die darauf eine Antwort geben könnten. Ich kenne niemanden sonst.«
»Ich habe Ihnen schon geantwortet. Aber ich möchte natürlich wissen, weshalb Sie herkommen und mich mit Ihrer Frage stören.«
»Ich habe seinen Namen in einem Mitgliederverzeichnis entdeckt. Ich habe nicht gewußt, daß er Nazi gewesen ist.«
»Was für ein Mitgliederverzeichnis?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber es waren über tausend Namen darin. Viele Mitglieder sind bereits gestorben, doch sie bezahlen weiter ihre Beiträge. Durch Legate oder Schenkungen, oder durch ihre Familien.«
»Die Vereinigung oder Organisation muß doch einen Namen haben. Wie nannte sie sich? >Schwedens Wohl«
»Es scheint eine Form von Stiftung zu sein, die gleichzeitig als Unterorganisation fungiert. Aber wozu, weiß ich nicht.«
»Und wo haben Sie das in Erfahrung gebracht?«
»Das muß vorläufig mein Geheimnis bleiben.«
»Aber der Name Ihres Vaters war dabei?«
»Ja.«
Jacobi fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Stefan deutete es als den Versuch eines Lächelns. »In den dreißiger und vierziger Jahren war Schweden ein in höchstem Grade nazifi-ziertes Land, nicht zuletzt unter Juristen. Nicht nur der große Meister Bach ist Deutscher gewesen. In Schweden sind die Ideale, seien es die literarischen, musikalischen oder politischen, immer aus Deutschland gekommen. Außer nach dem Zweiten Weltkrieg. Da hat sich das Blatt gewendet, und die Ideale kamen mehr und mehr aus den USA. Aber daß Hitler das Land in die totale Katastrophe getrieben hat, bedeutete nicht, daß die Ideen vom weißen Übermenschen, der Haß auf die Juden, aufhörten zu existieren. Dies alles lebte in der Generation weiter, die davon schon in ihrer Jugend geprägt wurde. Vielleicht ist Ihr Vater einer von diesen gewesen. Vielleicht auch Ihre Mutter. Es kann auch niemand sicher sein, daß diese Ideale nicht eines Tages eine Renaissance erleben.«
Jacobi verstummte. Atemlos von der langen Rede. Die Tür hinter ihm öffnete sich, und Anna Jacobi trat ein. Sie reichte ihrem Vater ein Glas Wasser. »Die Zeit ist um«, sagte sie.
Stefan erhob sich.
»Haben Sie die Antwort erhalten, die Sie gesucht haben?« fragte Jacobi.
»Ich versuche zu verstehen«, erwiderte Stefan.
»Meine Tochter sagte, Sie seien krank?«
»Ich habe Krebs.«
»Unheilbar?«
Jacobi hatte seine Frage mit unerwarteter Heiterkeit gestellt, als würde er sich darüber freuen, daß der Tod nicht nur eine Sache alter Männer war, die ihre letzten Tage damit verbrachten, Bach zu hören.
»Ich hoffe, nicht.«
»Selbstverständlich. Aber der Tod ist der Schatten, dem wir nicht entkommen. Eines Tages verwandelt er sich in ein wildes Tier, das wir uns nicht länger vom Leibe halten können.«
»Ich hoffe, daß ich geheilt werde.«
»Falls nicht, schlage ich Bach vor. Die einzige Medizin, die etwas taugt. Man erhält Trost, ein bißchen Linderung der Schmerzen, ein gewisses Maß an Mut.«
»Ich werde daran denken. Vielen Dank, daß Sie sich die Zeit genommen haben.«
Jacobi antwortete nicht. Er hatte die Augen geschlossen.
Stefan und Anna Jacobi verließen den Raum.
»Ich glaube, er hat Schmerzen«, sagte die Tochter, als sie an der Haustür standen. »Aber er möchte keine schmerzstillenden Medikamente. Er sagt, er könne der Musik nicht lauschen, wenn er nicht klar im Kopf sei.«
»An welcher Krankheit leidet er?«
»Am Altern und an der Verzweiflung. Sonst an nichts.«
Stefan reichte ihr die Hand und verabschiedete sich. »Ich hoffe, es wird gut«, sagte sie. »Daß Sie geheilt werden.«
Stefan kehrte zu seinem Wagen zurück. Er duckte sich gegen den starken Wind. Was tue ich hier, dachte er. Ich besuche sterbende alte Männer und versuche eine Antwort darauf zu finden, warum mein Vater Nazi gewesen ist. Ich kann mit meinen Schwestern Kontakt aufnehmen und sie fragen, was sie wissen, oder sehen, wie sie reagieren, wenn ich davon erzähle. Aber davon abgesehen, was kann ich mit den Antworten anfangen, die ich erhalte? Er setzte sich in den Wagen und blickte auf die Straße. Eine Frau kämpfte mit einem Kinderwagen gegen den Sturm an. Er folgte ihr mit den Blicken, bis sie aus seinem Gesichtsfeld verschwunden war. Dies hier ist alles, was ich habe, dachte er. Ein einsamer Augenblick in meinem Auto, das auf einer Straße in einem Villenviertel am Stadtrand von Varberg steht. Ich werde nie hierher
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