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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hatte, daß er nie Teil ihrer Spiele oder Gemeinschaft werden könnte. Daß er immer zu klein sein, immer hinterherhinken würde.
    Was war danach geschehen? Der Vater kam in Begleitung der Frau zurück. Sie war älter als er. Sie hatte graue Strähnen im Haar und trug schwarz-weiße Kellnerinnenkleidung. Sie ähnelte jemand, dachte er jetzt, und im gleichen Augenblick wurde ihm klar, daß es Elsa Berggren war. Auch wenn sie es nicht gewesen war. Er konnte sich an ein Lächeln erinnern, aber auch an etwas Hartes, Abweisendes. Sie standen vor dem Zelt. Sie war nicht überrascht, daß sie gekommen waren. Also hatte sie gewußt, daß sie kommen würden. Stefan erinnerte sich an eine vage Besorgnis, daß der Vater nicht mit ihnen nach Kinna zurückkehren, seine Mutter nicht aus Kristian-stad zurückkommen würde. Der Rest der Begegnung mit der unbekannten Frau war plötzlich vollkommen klar. Der Vater hatte gesagt, sie hieße Vera und käme aus Deutschland. Dann hatten sie ihr die Hand gegeben. Zuerst die Schwestern und anschließend er selbst.
    Stefan war stehengeblieben. Links von ihm fluchte Erik Johansson, als er über einen Stein stolperte. Der Hubschrauber flog dröhnend in niedriger Höhe heran und zog einen weiten Bogen über das Tal unter ihnen.
    Damals waren sie auch im Gebirge gewandert. Keine langen Wanderungen. Sie hatten sich nie weit vom Berghotel entfernt.
    Er ging weiter. Es war noch eine Tür zu öffnen, dachte er.
    An einem ungewöhnlich warmen Augustabend oben im Gebirge war etwas passiert. Wo die Schwestern gewesen waren, wußte er nicht mehr. Doch die Frau, die Vera hieß, und sein Vater saßen vor der Blockhütte auf ein paar Zeltstühlen. Sie lachten. Stefan mochte es nicht und ging auf die Rückseite des Hauses. Dort war eine Tür, die er geöffnet hatte. Er wußte nicht, ob es verboten war, aber er war in Veras Haus hineingegangen. Zwei enge Zimmer mit niedriger Decke. Auf einer Kredenz ein paar Fotos. Er hatte sich angestrengt, um die Bilder deutlich zu erkennen. Ein Hochzeitsfoto. Vera mit ihrem Mann, der eine Uniform trug.
    Jetzt erinnerte er sich vollkommen klar und deutlich. Der Mann in deutscher Uniform. Vera im weißen Kleid, lächelnd, einen Blumenkranz im Haar, vielleicht auch eine Brautkrone. Und neben dem Hochzeitsfoto ein zweites Foto im Rahmen, hinter Glas. Ein Bild von Hitler. Im gleichen Augenblick wurde die Tür auf der Vorderseite des Hauses geöffnet. Vera und sein Vater standen dort. Empört sagte sie etwas auf Deutsch. Oder in gebrochenem Deutsch-Schwedisch. Er erinnerte sich nicht genau. Aber sein Vater riß ihn von der Kredenz fort und gab ihm eine Ohrfeige.
    Da hatte es geendet. Die Erinnerung war in dem Moment erloschen, in dem ihn die Ohrfeige getroffen hatte. An die Rückreise nach Kinna hatte er nicht die geringste Erinnerung. Nicht einmal an die Enge im Auto oder an die Angst vor der Reisekrankheit. Nichts. Ein Foto von Hitler. Eine Ohrfeige. Und dann nichts mehr.
    Stefan schüttelte langsam den Kopf. Vor dreißig Jahren hatte sein Vater seine Kinder mitgenommen, um eine deutsche Frau zu besuchen, die in einem Berghotel arbeitete. Dicht unter der Oberfläche, wie auf einem doppelt belichteten Foto, war die ganze Hitlerzeit präsent. Genau wie Wetterstedt gesagt hatte: Nichts war vollkommen vergangen. Es hatte nur neue Formen angenommen, einen neuen Ausdruck. Aber der Traum von der Überlegenheit der weißen Rasse war immer noch lebendig. Sein Vater hatte eine Frau namens Vera besucht und seinem Sohn eine Ohrfeige gegeben, als er etwas gesehen hatte, was er nicht hatte sehen sollen.
    War da noch mehr gewesen? Stefan suchte in seiner Erinnerung, aber sein Vater hatte den Vorfall nie kommentiert. Es gab nur dieses Dunkel nach der Ohrfeige, nichts sonst.
    Er ging wieder weiter. Der Hubschrauber drehte noch eine Runde und verschwand nach Süden. Stefan ließ den Blick übers Fjäll wandern. Doch alles, was er sah, waren zwei Fotos auf einer Kredenz in einem Zimmer mit niedriger Decke.
    Kurz darauf kam der Nebel, und sie kehrten um. Gegen sechs waren sie wieder bei der Hütte. Der Hubschrauber flog eine letzte Runde, nachdem er zwei der Hundeführer an Bord genommen hatte, und verschwand dann in nordöstlicher Richtung, nach Östersund. Der Pilot hatte Körbe mit belegten Broten und Kaffee mitgebracht. Rundström schien ununterbrochen in sein Funkgerät zu sprechen, wenn er nicht telefonierte. Stefan hielt sich ein wenig abseits. Giuseppe hörte einem der Techniker zu, die

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