Die Rückkehr des Tanzlehrers
sagen, daß ich einer von Herberts nächsten Nachbarn bin.«
»Und was machen Sie beruflich?«
Der Mann lächelte. »Man pflegt die Leute zuerst zu fragen, wie sie heißen«, sagte er. »Dann erst fragt man sie nach ihrer Arbeit.«
»Ich heiße Stefan. Stefan Lindman. Ich bin Polizist in Boras. Dort, wo auch Herbert gearbeitet hat.«
»Abraham Andersson. Aber hier werde ich meist Dunkärr genannt, weil ich auf einem Hof wohne, der Dunkärret heißt.«
»Sind Sie Landwirt?«
Der Mann lachte und spuckte auf den Boden. »Nein«, antwortete er. »Keine Landwirtschaft, kein Wald. Ja doch, Wald. Aber nicht, um Bäume zu fällen. Ich spiele Geige. Zwanzig Jahre habe ich in einem Sinfonieorchester in Helsingborg gespielt. Dann eines Tages hatte ich plötzlich genug und bin hierhergezogen. Manchmal spiele ich noch. Hauptsächlich, um die Finger geschmeidig zu halten. Alte Geiger können Probleme mit den Gelenken bekommen, wenn sie zu abrupt aufhören. So sind Herbert und ich uns begegnet.«
»Wie meinen Sie das?«
»Manchmal nehme ich meine Geige mit hinaus in den Wald. Stelle mich zwischen die Bäume, wo sie ganz dicht stehen. Da hat die Geige einen besonderen Klang. Oder ich steige auf einen Berg oder spiele an einem See. Der Klang ist jedesmal anders. Nach all den Jahren in einem Konzertsaal kommt es nur vor, als hielte ich ein neues Instrument in den Händen.«
Er wies mit dem Arm hinunter zum See, der zwischen den Bäumen zu erkennen war. »Dort unten habe ich gestanden und gespielt. Ich glaube, es war der zweite Satz aus Mendelssohns Violinkonzert. Da ist Herbert mit dem Hund gekommen. Er hat gefragt, was zum Teufel hier los wäre. Ich kann ihn verstehen. Wer rechnet schon damit, mitten im Wald einen Alten mit einer Geige zu treffen. Er ist wütend gewesen, weil ich mich auf seinem Grund und Boden befunden hatte. Aber dann sind wir Freunde geworden, oder wie man es nun nennen soll.«
»Was meinen Sie damit?«
»Daß niemand wirklich Herberts Freund werden konnte.«
»Warum nicht?«
»Er hat dieses Haus gekauft, um seinen Frieden zu haben. Aber ganz kann man ja doch nicht darauf verzichten, mit anderen Menschen zu verkehren. Nach ein, zwei Jahren erwähnte er, daß ein Reserveschlüssel im Schuppen hinge. Warum, weiß ich selber nicht.«
»Sie haben sich also manchmal verabredet?«
»Nein, aber er hat mich unten am See spielen lassen. Um genau zu sein, habe ich nie einen Fuß in dieses Haus gesetzt. Und er ist auch nie bei mir zu Hause gewesen.«
»Ist denn nie jemand zu Besuch gekommen?«
Die Reaktion des Mannes war beinahe nicht wahrzunehmen. Stefan bemerkte trotzdem, daß er zögerte, bevor er antwortete.
»Nicht, soweit ich weiß.«
Also ist jemand zu Besuch gekommen, dachte Stefan.
»Sie sind mit anderen Worten ebenfalls Rentner«, sagte er statt dessen. »Und Sie haben sich auf die gleiche Weise wie Herbert in den Wald zurückgezogen.«
Der Mann lachte erneut. »Nicht doch«, sagte er. »Ich bin weder Rentner, noch habe ich mich in den Wald zurückgezogen. Ich schreibe ein wenig für ein paar Tanzkapellen.«
»Tanzkapellen?«
»Dann und wann ein Lied. So Herz und Schmerz. Das meiste ist der reine Mist. Aber ich habe recht häufig in den Hitlisten gestanden. Allerdings nicht als Abraham Andersson. Ich benutze ein Pseudonym.«
»Und wie heißen Sie da?«
»Siv Nilsson.«
»Ein Frauenname?«
»Ich hatte in der Realschule eine Klassenkameradin, in die ich verliebt war. Sie hieß Siv Nilsson. Ich dachte, es könnte eine schöne Liebeserklärung sein.«
Stefan fragte sich, ob Abraham Andersson scherzte. Aber er beschloß zu glauben, daß das, was er hörte, der Wahrheit entsprach. Er betrachtete die Finger des Mannes. Sie waren lang und schmal. Er konnte sehr wohl Geiger sein.
»Man kann sich wirklich fragen, was passiert ist«, sagte An-dersson plötzlich. »Wer hierhergekommen ist und Herbert umgebracht hat. Bis gestern ist die Polizei hiergewesen. Sie haben Menschen mit Hubschraubern hergebracht, die Hunde mit sich geführt haben. Die Polizisten sind von Hof zu Hof gegangen und haben Fragen gestellt. Aber niemand weiß etwas.«
»Niemand?«
»Niemand. Herbert Molin ist irgendwoher gekommen und wollte seine Ruhe haben. Aber jemand hatte etwas dagegen. Und jetzt ist er tot.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt getroffen?«
»Sie stellen die gleichen Fragen wie die Polizei.«
»Ich bin Polizist.«
Andersson blickte ihn forschend an. »Aber Sie arbeiten in Boras. Und also können Sie mit dem
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