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Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08

Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08

Titel: Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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seiner würdig zu erweisen. Linden wischte sich mit dem Handballen grob die Tränen ab. Ohne Zögern folgte sie der Gasse und ihren Sinnen zum nächsten Pavillon.
    Als sie sich der schweren Zeltleinwand näherte, die von zu langem Gebrauch schmutzig und zerschlissen war, vervielfachten ihre Wahrnehmungen von Not und Leid sich. Das nackte menschliche Elend vor ihr war schlimmer als alles, was sie bisher an Vergleichbarem erlebt hatte. Andererseits hatte sie Jahre damit zugebracht, sich auf solche Krisen vorzubereiten. Nichts in diesem Pavillon war schlimmer als die Folgen von schweren Verkehrsunfällen oder Stürzen, von Schlägereien in Bars, häuslicher Gewalt oder Schusswunden. Bereks Krieger waren nicht schlimmer verletzt als Sahah, andere der Rainen oder die Meister, die sich den Dämondim entgegengestellt hatten. Aber sie waren so viele ... Und sie wurden so schrecklich primitiv versorgt ... Bei ihren letzten Schritten zu dem Pavillon fühlte sie einen Schwerverwundeten sterben. Fast zwei Dutzend weitere standen unmittelbar am Abgrund und wurden nur mehr von dem bedingungslosen Willen, ihren Lord nicht im Stich zu lassen, weiter am Leben erhalten. Binnen kurzem würden auch sie sterben: manche in gnädiger Ohnmacht an ihren Wunden, andere unter grässlichen Qualen. Und dies war nur eines von drei Lazarettzelten. Noch nie hatte Linden solche Not in diesem Umfang erlebt, und im Vergleich dazu erschienen ihr die hektischen Stunden, die Julius Berenford und sie nach Covenants Ermordung im OP verbracht hatten, geradezu armselig.
    Ihre Nerven waren empfindlich, allzu empfindlich. Sie spürte alle abgetrennten Gliedmaßen und Schädelbrüche, jeden durchbohrten Unterleib und jedes zerhauene Gelenk, als seien diese Wunden ihr zugefügt worden. Trotzdem wurde sie nicht schwach.
    Vertraue auf dich selbst.
    Als hätte sie ihre eigene Sterblichkeit vergessen, schob Linden das steife Segeltuch des Eingangs beiseite und betrat mit großen Schritten das Zelt. Sie nahm kaum wahr, dass ihr niemand folgte.
    Das Zelt wurde von vier stämmigen Pfosten getragen, die gut doppelt so groß waren wie Linden; sein Inneres wurde von mindestens zwei Dutzend Öllampen erhellt, und trotzdem konnte sie kaum die gegenüberliegende Wand erkennen. Der Pavillon war voller Rauch: dichter, beißender Nebel, von dem sie husten musste, ehe sie zwei Schritte weit über den Boden aus festgestampfter Erde gegangen war.
    Verdammt noch mal, hätte sie am liebsten laut ausgerufen, wollt ihr sie ersticken lassen? Aber dann konzentrierten ihre Sinne sich auf die neue Situation, und sie roch und spürte, dass der Rauch von brennenden Kräutern stammte. Er wirkte fiebersenkend und bis zu einem gewissen Maß auch desinfizierend. Andererseits war er bestimmt schädlich für die Lungen der Verwundeten. Aber die meisten hatten sich daran gewöhnt oder waren zu schwach, um zu husten. Aber er hielt einige von ihnen am Leben.
    Sie lagen in langen Reihen auf dem harten Erdboden und hatten als Kälteschutz nur dünne Strohsäcke mit Wolldecken darüber. Aber diese Decken waren seit vielen Monaten steif von Blut und Eiter und Auswurf, mit Kot und Urin befleckt; sie mussten ideale Brutherde für alle möglichen Krankheitserreger sein. Noch immer heftig hustend stellte sie fest, dass in dieser Umgebung Lungenentzündung und Ruhr grassierten, die alle Wunden und eine Vielzahl weiterer Krankheiten verschlimmerten. Und dann begriff Linden, dass der wahre Horror dieses Krieges nicht darin bestand, dass so viele Leute starben, sondern dass sich noch so viele ans Leben klammerten. Oft wäre der Tod eine Erlösung gewesen ... Die Männer und Frauen, die als Bereks Feldschere arbeiteten, hatten unter unmöglichen Verhältnissen Wunder bewirkt.
    Drei von ihnen, zwei Männer und eine Frau, taten in diesem Zelt Dienst: drei Krankenwärter für zwanzig- bis dreißigmal mehr Verwundete und Sterbende. Als einer von ihnen auf sie zukam, sah Linden, dass sein graues Gewand fast so vor Schmutz starrte wie die Wolldecken. Um die Taille hatte er sich als Gürtelersatz einen Kälberstrick geschlungen, an dem mehrere Beutel mit Kräutern – seine einzigen Medikamente – sowie ein schweres Kurzschwert und eine primitive Säge hingen, die er offensichtlich, allzu offensichtlich, für Amputationen verwendete. Er zitterte vor Übermüdung, als er sich heranschleppte. Sein Blick war wässrig, und sein schwaches, trockenes Husten verriet Linden sofort, dass er sich eine Lungenentzündung geholt

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