Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
verlor. Der Tumult ihrer Emotionen, die Sturmböen von Verwirrung und Kummer und Verzweiflung mussten ihm so deutlich wie im Wind flatternde Banner vor Augen gestanden haben. Ohne weiter auf Clyme, Galt und Branl zu achten, fasste er Linden rasch am Arm und führte sie den Korridor entlang, fort von Verlust und Verwirrung.
Hätte er sie nicht gestützt, wäre sie vielleicht gefallen. Tränen, die sie nur mit Mühe zurückhalten konnte, füllten ihre Augen. Nur Staves fester Griff und der Stab des Gesetzes, den sie umklammert hielt, ermöglichten ihr, einen Schritt nach dem anderen zu tun, als wolle sie ihre belanglosen menschlichen Sorgen und Bedürfnisse auf dem rauen Granit von Schwelgenstein abschreiten. Sie war nicht Anele; der Stein war nicht ihr Freund. Herrenhöh hatte ihr nie etwas anderes geboten als Misstrauen, Gefangenschaft, Blutvergießen und Bösartigkeit. Getröstet werden konnte sie nur von Gras und Bäumen, von Andelains Liebreiz und dem zaubermächtigen Wasser des Sees Glimmermere, von der intakten Rechtschaffenheit des Landes. Oder von ihrem Sohn, der sich auf Covenants Seite geschlagen hatte. Trotzdem gestattete sie Stave, sie durch das Korridorlabyrinth von Schwelgenstein zu ihren Gemächern zu führen. Wohin hätte sie sonst gehen sollen? Die über dem Hochland aufziehenden Wolken bargen keine Gefahren, aber sie würden Dunkelheit, schlechte Sicht und sintflutartigen Regen bringen. Ihr eigener Gefühlssturm war schon zu viel für sie.
Sei in der Liebe vorsichtig. Auf ihr liegt ein Glanz, der das Herz an Vernichtung bindet.
Covenant und Jeremiah hatten sich bis fast zur Unkenntlichkeit verändert. Es war nicht nur, dass sie ihr die Berührung verwehrten, nein, sie hatten ihr Herz zurückgewiesen. Weshalb hatte Covenant ... falsch geklungen, obwohl er so offensichtlich bemüht war, sie zu überreden, ihr Vertrauen zu gewinnen? Gott, dachte sie, o Gott, er hätte die Puppe eines Bauchredners sein können! War es etwa Jeremiah, der die Fäden zog? Dank der überschüssigen Macht, die er der Tatsache verdankte, dass er an zwei Orten zugleich war? Waren sie beide Bauchrednerpuppen? Spielbälle von Wesen und Kräften, die sie nicht einmal andeutungsweise begreifen konnte? Oder erzählten sie ihr einfach nur so viel von der Wahrheit, wie sie konnten? Lag der Fehler bei ihr? In ihrem Widerstreben, jemandem zu trauen, der ihr widersprach? In ihrer fehlenden Bereitschaft, Covenant seinen Ring zurückzugeben?
Anele hatte gesagt, der Stein in dem Versammlungsraum spreche von Thomas Covenant, dessen Tochter das Gesetz des Todes missachtete, und dessen Sohn im Land unterwegs ist und solche Verwüstungen anzurichten sucht, dass die Knochen der Berge zittern, wenn sie daran denken. Auch um den Weißgoldträger trauert dieser Stein, weil er ihn verraten weiß.
Covenant und Jeremiah waren die beiden Menschen gewesen, die sie mehr als alle anderen geliebt hatte. Jetzt hatte sie das Gefühl, von ihnen zerbrochen worden zu sein. Aber sie war nicht gebrochen. Das wusste sie, auch wenn ihre Verzweiflung sie ausfüllte. Sie empfand Schmerzen, war verwirrt, bekümmert, wie von Sinnen. Aber von solchen Dingen verstand sie etwas. Sie hatte das vergangene Jahrzehnt damit verbracht, die Auswirkungen dessen zu studieren, was sie von Thomas Covenant und dem Verächter gelernt hatte. Die Versuche ihres ehemaligen Geliebten, sie jetzt zu manipulieren, konnten wie Geißelhiebe schmerzen, sie aber nicht so unterjochen, dass sie sich ergab. Ihr Wunsch zu weinen war lediglich der Wunsch, den Druck abzuschwächen, den die stummen Schreie in ihrem Inneren hervorriefen. Aber zugrunde gerichtet war sie noch lange nicht. Als Stave sie endlich zu ihren Gemächern brachte und ihr die Tür öffnete, fand sie die Kraft, ihren Kummer hinunterzuschlucken, damit sie sprechen konnte: »Wir müssen reden«, sagte sie vor Selbstbeherrschung heiser. »Du und ich. Mahrtiir und Liand. Wir alle. Kannst du sie für mich zusammenholen? Behält Covenant recht, greifen die Dämondim nicht vor morgen an. Dann bleibt uns noch genug Zeit.«
Der Haruchai schien zu zögern. »Auserwählte, mir widerstrebt es, dich in diesem Zustand allein zu lassen.«
»Das verstehe ich.« Sie wischte sich mit dem Ärmel ihrer Bluse ein paar Tränen ab. »Ich schicke dich auch nicht gern weg. Aber ich kann dich jetzt unmöglich begleiten. Und wir müssen miteinander sprechen. Covenant will mir morgen früh zeigen, wie er unsere Probleme zu lösen beabsichtigt. Aber es
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