Die Rückkehr nach Atlantis ("Alantis"-Trilogie) (German Edition)
Doch diese Männer waren keine echten Seher, sondern redeten Zaidon nach dem Mund. Sie erzählten ihm, was er hören wollte – und die meisten ihrer Vorhersagen trafen niemals ein.
Es gab nur eine wirkliche Seherin in Atlantis: Saskandra. Sie besaß die Gabe des zweiten Gesichts schon seit ihrer Kindheit. Mit fünf Jahren hatte sie den Tod ihres Onkels vorhergesehen. Sie hatte geträumt, dass er reglos am Boden liegen würde, in der Brust eine tödliche Wunde. Zwei Tage später war er erstochen worden.
Vor einigen Jahren war Saskandra dann langsam erblindet. Dieinneren Bilder kamen trotzdem nach wie vor und ihre Vorhersagen wurden noch genauer. Ihr Ruf als Seherin war bis nach Atlantis gedrungen und Zaidon hatte darauf bestanden, dass sie zu ihm kam. Jetzt lebte sie schon über fünf Jahre hier im Palast. Zaidon bezahlte sie gut und hatte sie zu einer Meereswandlerin gemacht. Sie hatte eine schöne Unterkunft und außerdem zwei Dienerinnen, die für sie kochten und ihr im Alltag halfen.
Eigentlich hätte sie zufrieden und glücklich sein können. Doch es gefiel ihr nicht, wie Zaidon immer selbstherrlicher wurde. Sie fragte sich, ob er schon immer so gewesen war oder ob es ihr erst jetzt auffiel. Seine Gier nach Macht und Ansehen kannte keine Grenzen. Er ließ sich von seinen Freunden feiern und lebte mit ihnen in Saus und Braus. Diese Feste konnten tagelang dauern, während die Bewohner der Unterstadt ums Überleben kämpfen mussten. Sie hatten kaum genug zu essen, die hygienischen Zustände waren schrecklich und es wimmelte von Ratten. Doch Zaidon behauptete, die Menschen in der Unterstadt hätten es sich selbst zuzuschreiben, dass sie so leben mussten. Jeder hätte die Chance zum Aufstieg in die Oberstadt, er müsse nur fleißig sein und sich bemühen.
Aber Saskandra wusste, dass Zaidon log. Seine Sprüche waren nur dazu da, das Volk zu beruhigen. Es interessierte ihn gar nicht, wie es den Leuten in der Unterstadt ging.
Im Moment drehte sich alles um Zaidons bevorstehende Hochzeit. Der Herrscher von Atlantis wollte in wenigen Wochen die junge Melusa heiraten. Angeblich war Melusa die schönste Frau der Welt. Als Zaidon von ihrer außergewöhnlichen Schönheit hörte, hatte er ihr eine Nachricht geschickt und sie gefragt, ob sieseine Frau werden wolle. Er wollte sie zur Fürstin von Atlantis machen. Melusa hatte eingewilligt und Zaidon erwartete ihre Ankunft mit großer Sehnsucht.
»Sag mir, Saskandra«, forderte Zaidon jetzt, »wie viele Kinder werden wir haben, Melusa und ich?«
Saskandra verspürte einen stechenden Schmerz in den Schläfen. In ihrem Kopf tauchte ein Flammenmeer auf. Glühende Lava lief an Säulen herunter.
»Ich … ich weiß es nicht, Herr …«
»Willst du, dass ich dich in den Kerker werfe? Konzentriere dich! Nennt man dich nicht die beste Seherin von Atlantis? Streng dich an. Ich will es wissen. Wie viele Kinder?«
Saskandra stöhnte. Zaidon würde nicht eher Ruhe geben, bis er eine Antwort bekommen hatte.
»Es tut mir leid, Herr.« Sie schluckte. »Ihr werdet kein einziges Kind haben.«
»Kein einziges?«, brauste Zaidon auf. »Was soll das heißen? Keinen Sohn? Keine Tochter? Kann Melusa keine Kinder bekommen?«
»Melusa ist nicht daran schuld«, erwiderte Saskandra leise.
Der Schmerz in ihrem Kopf wurde unerträglich. Die Flammen loderten vor ihren Augen.
»Wer dann?« Zaidons Tonfall wurde drohend. »Willst du etwa damit sagen, dass es an mir liegt?«
»Nein, Herr.« Saskandras Stimme versagte. »Es wird keine Hochzeit geben«, flüsterte sie.
»Keine Hochzeit? Wie kann das sein? Kommt Melusa nicht?«
»Doch, Herr, sie will kommen. Aber –«
»Aber was?«, wollte Zaidon wissen.
Sie musste das Schreckliche aussprechen, obwohl sie wusste, dass Zaidon ihr nicht glauben würde.
»Weil Atlantis vor der Hochzeit untergehen wird. Die Stadt wird vollkommen zerstört werden. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben.«
Tödliche Stille herrschte im Raum.
Fünf Sekunden lang. Zehn. Dann holte Zaidon tief Luft und schlug Saskandra ins Gesicht.
»Was redest du da, Frau! In den Kerker mit dir! WACHEN!«
Saskandra hörte, wie die Tür aufging. Schwerter klirrten. Ihre Wange brannte, aber das war nichts gegen den Schmerz in ihrem Kopf. Zwei Männer packten sie an den Armen und zerrten sie aus dem Raum. Sie nahmen keine Rücksicht darauf, dass Saskandra nichts sehen konnte. Sie stolperte über die Türschwelle, aber die Männer zogen sie weiter. Ihre Füße schleiften über
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