Die Rueckkehr
Zimmerdecke. Es war ungewohnt ruhig. Im Wohnheim klappten eigentlich immer irgendwelche Türen und hin und wieder konnte ich durch das geöffnete Fenster leise Stimmen hören. Hier, in dieser Wohnung, in Sams Zimmer, war es fast unnatürlich still.
Doch es war bereits viel zu spät gewesen, um noch zurück zum Campus zu fahren. Vanessa war noch dazu nach ihrem unerwarteten Geständnis in einen nahezu rauschähnlichen Schlaf gefallen.
Ich musste unbedingt mit Pat reden. Er durfte ihr keinen Alkohol mehr geben, wenn sie mich während der Arbeit besuchte. Das Zeug schien ihr absolut nicht zu bekommen.
Xander und ich hatten sie danach erst einmal in sein Bett geschafft, wo sie nun tief und fest ihren Schwips ausschlief.
Kurz darauf war er auch schon verschwunden. Die Arbeit im Krankhaus wartete auf ihn, doch ich sah ihm an, dass er darüber alles andere als verärgert war. Vanessas Äußerung hatte ihn noch mehr schockiert als mich.
Zu meiner Überraschung drückte er mir bei seiner Verabschiedung noch schnell einen Zettel mit einer Telefonnummer in die Hand.
"Der moderne Vampir von heute sollte wohl auch über ein Mobiltelefon verfügen." Er lächelte dabei fast ein wenig verlegen.
"Du hast endlich ein Handy!" Entzückt griff ich nach dem kleinen Blatt Papier.
"Ja, wo ich jetzt wohl wieder so was… wie Freunde habe, lohnt sich das dann auch tatsächlich wieder." Es tat mir weh, zu sehen, wie geknickt er über die Tatsache war, dass seine Familie sich einen feuchten Dreck für ihn zu interessieren schien. Wie konnte Ashley nur ihren eigenen Bruder vergessen?
Und was war mit Mr. und Mrs. Carter? Waren sie nicht irgendwie sogar Mitschuld an seinem Schicksal? Sie mussten sich doch verantwortlich fühlen oder hatten sie ihren eigenen Sohn einfach aus ihrem Leben gestrichen, jetzt, wo er kein erfolgreicher Sportler und Collegestudent mehr war?
Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. "Ich bin deine Freundin, Xander."
"Das ist gut." Sein Lächeln wurde breiter. "Dann ruf mich an, wenn du mich brauchst, Freundin."
"Das werde ich." Wir umarmten uns ein letztes Mal, dann fiel die Tür auch schon hinter ihm ins Schloss.
Auf einmal war ich allein, mehr oder weniger zumindest, wenn man von der schlafenden Vanessa im Nebenzimmer einmal absah.
Unwillkürlich musste ich wieder daran denken, wie sie Xander angesehen hatte.
'Beiß mich.'
Das konnte nicht ihr ernst gewesen sein. Vanessa war betrunken. Morgen würde die Welt schon wieder ganz anders aussehen.
Andererseits kannte ich ihre Vorliebe für alles Mystische. Wollte sie tatsächlich ein Vampir sein? Warum? War das Leben, was sie gerade führte, für sie so wenig lebenswert?
Ich hatte sie in den letzten Wochen wirklich vernachlässigt. Ich musste unbedingt einmal in Ruhe mit ihr reden.
Ich hatte selber nie darüber nachgedacht. Auch nicht nach Sams Verwandlung. Doch war das wirklich die Wahrheit? In den vielen einsamen Nächten ohne ihn, hätte ich da nicht alles getan, um ihm wieder nahe sein zu können? Wäre dann nicht auch alles irgendwie leichter? Mit Sam? Nur mit Sam. Alles andere wäre umso schwieriger. Wie sollte ich meine Eltern besuchen? Wie mein Studium beenden? Wie sollte ich jemals… eine eigene Familie gründen? Es würde nur Sam und mich geben. Würde er das überhaupt wollen?
Bisher hatte ich diese Gedanken immer erfolgreich zur Seite geschoben. Doch nun hier, in dieser grauenhaften Stille, Sams vertrauten Geruch in der Nase, den Kopf auf dem Kissen, auf dem er sonst lag, stürzten sie mit einem Mal wie eine Lawine auf mich ein. Was wollte ich? Was war mir wichtig? Und vor allem, was war überhaupt möglich?
Ich sog die Luft tief in meine Lunge ein und legte eine Hand auf mein pochendes Herz. Tack, Tack, Tack, Tack. Würde es mir nicht fehlen, wenn es nicht mehr da wäre? Dieses kleine rhythmische Klopfen, das Blut, das durch meinen Körper gepumpt wurde. Doch was würde werden, wenn ich immer älter und älter wurde und Sam immer so bleiben würde, wie er war? Immer so, niemals älter. Niemals alt. Blutdurstig. Stark.
Hatten wir überhaupt eine Basis? Oder war es hoffnungslos?
Ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten. Wem machte ich hier eigentlich etwas vor? Ich hatte ihn verloren, in jener furchtbaren Nacht, in der Benjamin Butler auf die Hudson-Ranch gekommen war und Sam das Blut ausgesaugt hatte.
Ich unterdrückte ein Schluchzen und presste die Hand auf meinen Mund. Ich hatte keine Ahnung, wie dünn die Wände waren,
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