Die Ruhe Des Staerkeren
seiner nicht enden wollenden Diskurse über die Komplexität der Gerichtsmedizin und ihre Fortschritte im Lauf der letzten fünf Jahrzehnte anheben, doch Laurenti schnitt ihm sofort das Wort ab.
»Hast du nicht einem einmal sogar ein Hitlerbärtchen unter die Nase geklebt, obwohl er nie in seinem Leben einen Bart trug? Und was unseren Ausflug angeht, so nehmen wir nachher einen Aperitif in der ›Bar Vatta‹ in Opicina. Oder bist du mittlerweile abstinent?«
Laurenti überholte die Trambahn am Obelisk und hoffte, daß der Alte bei ihrem Anblick nicht zu einem Selbstlob über seinen Einsatz beim letzten spektakulären Fall ansetzte. Doch Galvano war von dem Vorschlag offensichtlich begeistert. »Die haben gute Weine, das stimmt. Aber hat man denen nicht kürzlich das Lokal ausgeräumt?« fragte er.
»Das war bereits Anfang Juli, nachts zwischen drei und vier. Die Tageseinnahme und die Münzen aus den Spielautomaten.«
»Vermutlich wieder Leute, die vom Balkan rüberkommen, zuschlagen und so schnell zurück über die Grenze verschwinden, daß ihr immer zu spät kommt.«
»Blödsinn, Galvano, die sind von hier. Immer wenn etwas passiert, heißt es in der Presse, daß es sich bei den Tätern vermutlich um Slawen handelt. Das stimmt aber nicht einmal zur Hälfte. Es ist, als befänden wir uns noch mitten im Zweiten Weltkrieg. Auch die Länder in Osteuropa haben klare Namen. Demnächst fallen endlich die Grenzen, bis auf die im Kopf der Leute, und einige Journalisten bedienen noch immer die dümmsten Klischees, nur um ein paar Zeitungen mehr zu verkaufen. Hetze als Marketinghilfe.«
»Das brauchst du mir nicht zu erzählen. Ich hab die Jahre nach dem Krieg erlebt, da warst du noch nicht einmal geplant. Rassismus ist die allergrößte Idiotie der größten Idiotien, Dummheit und Ignoranz kann man ethnisch nicht zuordnen. Ich bin Italo-Amerikaner. Ich war im Krieg gegen die Nazis, gegen die italienischen Faschisten, die slowenischen und kroatischen Kollaborateure und danach auch noch gegen die Kommunisten, die Triest und sein Umland einsacken wollten. Auch wenn da schon kaum mehr geschossen wurde. Aber wenn du darauf bestehst, zähl ich dir auch noch all die anderen auf. Ich weiß, wovon ich rede. Trotzdem bleibe ich dabei, die Einbrecher in der ›Bar Vatta‹ kamen von der anderen Seite der Grenze. Es bietet sich an, mal kurz einen Fischzug im Ausland zu machen, wenn man in drei Minuten wieder drüben ist.«
»Und wer sagt dir, daß es nicht der Nachbar aus der Wohnung über dem Lokal war? Irgendwann kriegen wir sie schon, dann werden wir ja sehen.«
»Ihr doch nicht«, meckerte Galvano. »Da müßte die Questura vorher mit neuen Kräften besetzt werden.« Er hatte nie verwunden, daß man ihn in die ohnehin längst überfällige Pension versetzt und ihm für die Räume der Pathologie Hausverbot erteilt hatte. Sein Leichenkeller war sein Lebensinhalt gewesen.
»Bisher haben wir noch alle erwischt. Eine Frage der Zeit.Aber wie weit sind eigentlich deine Memoiren«, fragte Laurenti. »Wieviel hundert Seiten hast du schon?«
Galvano gab nur ein unwilliges Grunzen zur Antwort, er kam über das Jahr 1954 einfach nicht hinaus. Die Kriegsgeschichten und die Jahre des Protektorats, des »Territorio Libero di Trieste«, in denen er als junger Pathologe für die Alliierten arbeitete, aber in der Stadt blieb, als sie abzogen. Als die Welt sich allmählich wieder normalisierte, mußte dies für eine ganze Generation Männer traumatisch gewesen sein, die vorher nur den Krieg kannte.
Am Grenzübergang Fernetti, der noch drei Tage seine Schuldigkeit tun mußte, fuhr Laurenti an der Schlange der wartenden Autos vorbei und hielt vor dem Dienstgebäude der Kollegen von der Grenzpolizei. Er ließ sich den Weg beschreiben, und wenig später holperte sein Dienstwagen über einen geschotterten Feldweg, dessen Fahrspur immer wieder von flammendrot belaubten Ästen der Sträucher am Rand verengt wurde. Der große Kälteeinbruch ließ dieses Jahr lange auf sich warten. Nach ein paar Kurven hielten sie schließlich vor einem Gatter, das schief in den Angeln eines morschen Holzpflocks hing. Tiefe Reifenspuren führten über eine Wiese, deren wintermüdes, welkes Gras seit Jahren nicht gemäht worden war, und dann in eine Doline hinab zu einem schmutzigbeigen Wohnwagen mit einem schmuddeligen Vordach. Ein fünfzehn Meter hoher Antennenmast mit einer Satellitenschüssel stand windschief daneben. Und schließlich gab es in dieser gestörten
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