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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Metallhalsband.«
    In der Ecke unter einem Fenster, das sich zur Piazza Hortis öffnete, stand ein Schreibtisch, mitten im Raum eine lange Werkbank, auf der heillose Unordnung herrschte. Steinplatten mit Dinosaurier-Skeletten hingen an den Wänden, ausgestopfte Vögel saßen auf Ästen, tatsächlich auch zwei Eichhörnchen. Eidechsen in Gläsern mit Formalin, in einem anderen der breite graue Kopf einer Viper über dem geringelten muskulösen Körper. Auch ein mannshoch aufgerichteter, restlos verstaubter Braunbär lebte in dieser Werkstatt, sein Fell von Motten zerfressen. Der war wohl schon so lange hier, wie es das Museum gab, und hatte sich stets erfolgreich vor dem Staubsauger des Reinigungspersonals versteckt. Pina ging zum Schreibtisch, während ihr die Museumsmitarbeiterin mit stoischem Blick folgte. An der Wand hingen an diedreißig Fotos von Hunden, die sie nicht genauer betrachtete, und ausgebleichte Postkarten von sonnigen Stränden, auf dem Tisch selbst waberten Berge von Papier. Nur ein Paar dicke Wollsocken ragte ordentlich zusammengelegt heraus. Der übliche unaufgeräumte Arbeitsplatz eines fleißigen Mitarbeiters im öffentlichen Dienst.
    Die graue Frau stand immer noch wie verwurzelt da, als wäre auch sie ein Ausstellungsstück. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie fertig sind, damit ich wieder abschließen kann«, sagte sie nach einer Weile, und Pina, die sie völlig vergessen hatte, sprang auf, fiel jedoch wegen des stechenden Schmerzes in ihrem Fuß auf den Stuhl vor dem Schreibtisch zurück.
    »Warten Sie«, sagte sie. »Ich habe ein paar Fragen. Wie lange arbeitete Manfredi hier?«
    Die Graue zuckte die Achseln. »Lange. Fünfzehn Jahre sind es sicher. Genaueres müssen Sie in der städtischen Personalabteilung erfragen.«
    »War er immer als Tierpräparator tätig?«
    »So lange ich denken kann.«
    »Ist Ihnen in der letzten Zeit etwas aufgefallen: verändertes Verhalten, andere Gewohnheiten? Gesteigerte Nervosität, Anrufe?«
    »Ein verändertes Verhalten hatte Marzio immer, zu gesteigerter Nervosität hat er grundsätzlich die anderen getrieben. Und für seine Anrufe habe ich mich nie interessiert.«
    »Zu wem hatte er engeren Kontakt?«
    »Soweit ich weiß, zu niemand. Er kam morgens pünktlich, zog die Tür hinter sich zu, und nachmittags ging er Punkt vier aus dem Haus. Er saß an seiner Werkbank, nahm die stinkenden Viecher aus, die man ihm brachte, und irgendwann saß dann ein Vogel auf einer Stange, der aussah, als lebte er noch. Er schien Spaß an seiner Arbeit zu haben und machte sie wohl ganz ordentlich. Nur Streß vertrug er nicht. Sobald jemand Druck zu machen versuchte, daß er ein besonderes Ausstellungsstückrasch überarbeitete, fing er auf eine Art und Weise zu fluchen an, daß ich es beim besten Willen nicht wiederholen werde. Schauen Sie nur den Braunbär an. Der ist für Schulklassen besonders attraktiv, aber Marzio war nicht zu bewegen, ihn aufzumöbeln. Seit Wochen steht das Vieh hier, die Besucher fragen schon nach ihm. Doch unser Herr Präparator verstand sich als Künstler. Es habe alles seinen richtigen Moment, erledigt zu werden. Ja, wenn er einmal mit einer Sache fertig war, dann war sie picobello. Aber sonst, das sage ich Ihnen ehrlich, war es besser, nicht zu viel mit ihm zu tun zu haben. Vielleicht liegt es am Beruf, daß jemand so zynisch wird. Freundlich war er nur zu den alten Damen, die ihm Tiere brachten, die sie angeblich gefunden hatten. Ein Vögelchen, das gegen das Fenster geflogen war, ein Eichhörnchen. Oder eine Schlange, die jemand beim Spaziergang auf dem Karst gefangen hat. Die meisten gingen damit zuerst einen Stock höher zu unserem Zoologen Nicola, der wirklich auf Zack ist, und hofften darauf, einen ganz besonders spektakulären Fund gemacht zu haben, mit dem sie dann in der Tageszeitung landen würden. Aber was soll man hier schon finden, was man noch nicht kennt? Und einmal brachte eine alleinstehende Frau ihren soeben verstorbenen Pudel zum Ausstopfen, doch nachdem Marzio sie abwies, warf sie den Kadaver auf der Piazza in den Mülleimer. Noch Fragen?«
    Pina schüttelte den Kopf und zog eine andere Schublade des Schreibtischs auf, die graue Frau verschwand lautlos. Manfredi hatte kein besonderes System, seine Sachen unterzubringen. In den Schubladen herrschte ein größeres Chaos als in denen Mariettas, die wenigstens das Fläschchen mit dem Nagellack stets auf Anhieb fand. Hier aber lagen alte Batterien neben noch verpackten,

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