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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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nicht im Inland. Und seine Strafzettel helfen uns auch nicht weiter. Falschparken tut am Ende jeder einmal, in seinem Fall stets in der Nähe seines Arbeitsplatzes. Bezahlt hat er nie. Genausowenig wie die Buße für Fahren ohne Sicherheitsgurt, die ihn fünf Punkte kostete. Die Kfz-Steuer blieb er auch seit drei Jahren schuldig, wenn er noch einmal angehalten worden wäre, hätte man sein Auto beschlagnahmt. Aber bei der Kiste kam es auch nicht mehr drauf an.«
     
    *
     
    Laurenti war auf dem Weg zur nächsten Besprechung. Dies sollte die letzte Sitzung zur Koordination der Sicherheitsmaßnahmen anläßlich des Staatsaktes sein. Der Präfekt hatte sie anberaumt, und ohne Blaulicht ging der schnellste Weg zu ihm zu Fuß quer durchs Ghetto an den Antiquitätenläden vorbei und dann über die Piazza dell’Unità d’Italia bis zum Palazzo del Governo. Živa hatte bestätigt, daß Goran Newman, den Pina auf den Fotos erkannt hatte, vor mehr alszwölf Jahren zusammen mit drei Kompagnons zweifelhafter Seriosität in einer Untersuchung über einen großen Grundstücksdeal in Dalmatien aufgefallen war, die auf Weisung von oben jedoch schnell eingestellt wurde. Später tauchte der Mann nicht mehr auf, und die Firma AdriaPro, die Schladerer, Mervec und Lebeni gehörte, machte kaum mehr aufsehenerregende Abschlüsse. Eine AdriaFuture hatte sie verdrängt, und diese Firma operierte aus London. Die Pamphlete der Gruppe »Istria libera, Dalmazia nostra« richteten sich vorwiegend gegen sie.
    Obwohl es erst kurz vor elf Uhr morgens am 20. Dezember war, schallte aus vielen Bars und Läden schon das übliche Weihnachtsgeplärre, von »Jingle Bells« bis »White Christmas« und »Stille Nacht«. Wie konnte man das den ganzen Tag lang ertragen? Vermutlich ging es inzwischen in der ganzen Welt so zu, bis auf Pjöngjang, Teheran und Kabul. Und alle paar Meter riefen sich Passanten ein »Auguri« zu, die Weihnachtswünsche, die sie in diesen Tagen ein paar tausendmal wiederholen würden – vom ersten Kaffee am Morgen bis zum letzten Drink in der Nacht. Und auch die große, zum Meer hin geöffnete Piazza, der Salon der Stadt, war entstellt. In riesigen, mit Weihnachtswünschen verzierten Bottichen hatte die Stadtregierung in zwei Reihen je zehn mächtige Tannen aufstellen lassen. »Frohes Fest« in zehn Sprachen. Oh, du Fröhliche! Gab es denn überhaupt keinen Ort mehr, wo man der kollektiven Hysterie entkam?
    Bevor er sich beim obersten Chef meldete, nahm Proteo Laurenti einen schnellen Espresso in der Bar Unità und fand endlich Ruhe, den verunglückten gestrigen Abend zu rekapitulieren. Erst in einem langen Gespräch mit seiner Tochter konnte er den Mißklang wieder ausräumen. Und das, obgleich er von der Reise noch hundemüde war. Dabei hatte er doch gar nicht so unrecht gehabt!
     
    Patrizia im vierten Monat? Proteo Laurenti war sprachlos, als er die frohe Botschaft zum Nachtisch serviert bekam.
    »Schwanger?« fragte er trocken. Wenn er sich nicht täuschte, dann lasteten die Blicke seiner Mutter, seiner Frau und seiner Tochter auf ihm, als unterzögen sie ihn einer Prüfung. Er leckte nervös den letzten Bissen von der Zuppa Inglese aus dem Mundwinkel. »Ein Kind?«
    Die Frauen brachen in schallendes Gelächter aus. »Was denn sonst?«
    »Ist das nicht ein bißchen früh?« Er wußte nicht, ob er sich freuen sollte. Erst vor einem Vierteljahr, nach dem Abschluß ihres Archäologiestudiums, hatte seine Lieblingstochter eine Assistentenstelle an der Universität von Neapel bekommen. Dazu hatte es allerdings der guten Parteiverbindungen von Laurentis ältestem Bruder Ignazio bedurft, über die sie sich sonst bei jedem Zusammentreffen in die Haare gerieten. Proteo stand unter seinen Geschwistern mit seiner politischen Meinung ziemlich alleine, er fand den wieder erstarkenden Revanchismus im Lande besorgniserregend.
    »Ich meine«, stammelte er mit hochrotem Kopf weiter, »bist du dir sicher? Du bist doch erst …«
    »Dreiundzwanzig, Papà!« Patrizias Gesichtszüge blieben mild wie die der Madonna von Botticelli, obwohl sie eine andere Reaktion erwartet hatte. Als einzige in der Familie hatte sie noch nie mit ihrem Vater Streit gehabt. »Freust du dich denn gar nicht?«
    »Freuen?« Proteo hatte sich noch immer nicht von der Nachricht erholt. »Worüber?« Und wie aus der Pistole geschossen, zählte er seine Fragen an den Fingern beider Hände auf. »Ich meine, wie ist das passiert? Wann ist es passiert? Warum ist das passiert?

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