Die Ruhe Des Staerkeren
Pina, fahren Sie hin und nehmen Sie alles auf. Tote haben keine Eile. Ich bin in Slowenien. Das darf doch alles nicht wahr sein.« Er kam zu Rožman zurück. »Noch ein Toter. Auf unserer Seite. Auf der Einfahrt eines Waldwegs liegt eine verkohlte Leiche. Ich fresse einen Besen, wenn das nicht mit diesem Wagen hier zu tun hat.«
*
Sedem hatte sich eine Jacke übergeworfen und war mit seinem Rollstuhl auf die Terrasse hinausgefahren, um den Sternenhimmel zu sehen. Die Tür zum Salon stand offen, und die Klänge von Amy Winehouse’ modernem Swing »Love Is A Losing Game« drangen hinaus in die Kälte. In der Ferne sah er die kleiner werdenden Rücklichter des Maserati, derPina über das gewundene Sträßchen von ihm wegfuhr. Was zum Teufel war in ihn gefahren? Hatte er nicht präzise Pläne, wie er seine Zukunft gestalten wollte? Nicht, daß er gegen die Polizei war, ganz im Gegenteil. Und mit der kleinen Inspektorin verband ihn viel: Idealismus, Gerechtigkeitssinn, Professionalität, Skepsis, das Verlangen nach Klarheit in allen Lebensbereichen, Kompromißlosigkeit und auch der gegenseitige Respekt im Umgang mit der eigenen Unsicherheit. Gegen anfängliche Widerstände und alle ihre Prinzipien hatte sie sogar zwei Joints mit ihm geraucht. Doch nie wäre ihm in den Sinn gekommen, ausgerechnet hier, im Hause seines Vaters, mit einem anderen Menschen Intimitäten auszutauschen. Seit seinem Unfall fühlte er sich frei wie ein Adler, er brauchte keine Begründungen mehr, wenn er sich anders verhielt, als man es von ihm erwartete. Und er war daran gewöhnt, mit sich alleine zu sein.
Sedems Lebenspläne sahen anders aus. Er erwog eine Zukunft in einem asiatischen Land, vielleicht in Vietnam, wo sein Vater als junger Mann gewesen war und Dinge gesehen haben mußte, über die er nie sprach. Ein Schneider in London fertigte seit damals die Handschuhe für Duke, die er nie ablegte. Sedem erinnerte sich nicht an die Hände seines Vaters.
Er nahm einen langen Zug von seinem Joint. Wenn er seine Geschäfte von der jetzigen Basis aus ans Ziel gebracht hätte, würde er den zweiten Teil seines Plans angehen. Er wußte, daß die bisher erwirtschafteten vierzehn Millionen dafür nicht ausreichten. Er wollte den großen Wurf, zu dem er Entwicklungshelfer und NGOs nicht in der Lage sah, weil sie viel zu sehr am Erhalt ihrer Organisationen interessiert waren. Notleidende Nationen waren lediglich Versuchskaninchen für die Vertreter der Industrieländer, die Wachstum um jeden Preis forderten. Sedem hatte in seinem Leben genug Zeit, den Dingen zu folgen, er zog andere Schlüsse aus denNachrichten. Seiner Meinung nach gab es keinen Nahrungsmittelmangel, sondern eine verfehlte Anbaupolitik. Hunger in Afrika existierte doch nur, weil sich der Anbau von Lebensmitteln so wenig lohnte wie der Handel damit. Entwicklungshilfe ruinierte die Preise vor Ort, und die Hilfsmittel wurden von Nahrungsmittelkonzernen erworben, die am Geschäft mit der Menschlichkeit eine goldene Nase verdienten. Die Rendite blieb – wie die Abhängigkeiten – in festen Händen: damit spekulierten Duke und die anderen Haie. Sedems Konzept lautete radikal anders, seine Ziele hießen Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Bildung, Zukunft – Sedem Seven Continents, seine Firma, mit der er die nötigen Gewinne erwirtschaftete, um sein Ziel zu verwirklichen.
Die Lichter des Maserati verschwanden hinter der letzten Kurve. Aus dem Salon wehte der Sound »Fuck me Pumps« von Amy Winehouse herüber. Sedem nippte an seinem Glas und tat einen tiefen Zug von seinem Joint. Das Marihuana, das er bei Dean gekauft hatte, war von besonderer Qualität. Dean sagte, es stamme von einem kleinen Produzenten, der es in einem Wald im Niemandsland in der Nähe von Lipizza anbaute. Garantiert rein und handverlesen. Sedem kicherte in sich hinein. Am Nachmittag hatte er eine Meldung gelesen, daß das Dünndruckpapier für die Bibelproduktion extreme Preissteigerungen erfuhr, weil die Chinesen zu viel rauchten. Wenn er davon früher Wind bekommen hätte – diesen Gewinn hätte er gerne mitgenommen. Als er den Joint ausdrückte, sah er in der Ferne die Sternenpilze des Feuerwerks aufsteigen und einen nach dem anderen verglühen. Eine Barriere war gefallen. Und er saß hier alleine auf der Terrasse, dachte an Pina und wußte nicht, wie er sich ihr entwinden könnte.
Freude, schöner Götterfunken
»Calamizzi, Domenico, geboren am Sankt-Valentins-Tag 1978 in Petilia Policastro, Provinz
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