Die Ruhe Des Staerkeren
Crotone, Kalabrien. Die Kollegen in Mailand hatten ihn auf dem Kieker, weil er im Stadtviertel Quarto Oggiaro als Geldeintreiber für den Clan der Carvelli arbeitete, die aus der gleichen Gegend stammen. Sie dominieren sowohl den Drogenhandel im Viertel als auch das Geschäft mit Sozialwohnungen, die illegal vermietet werden. Pflegen gute Verbindungen zu den Albanern. Auch Pitbulls tauchen auf, Calamizzi schüchterte mit den Viechern zahlungsunwillige Schuldner ein. Alle Anzeigen dort erfolgten bisher anonym. Niemand sagt direkt aus.« Obwohl Marietta nicht mit Schminke gespart hatte, sah man dunkle Schatten um ihre Augen. Was hatte sie letzte Nacht mit Sgubin angestellt? »Nach mehreren Verhören kam er jedesmal wieder frei. 2006 setzte er sich ab. Das italienische Generalkonsulat Hamburg stellte ihm vor einem halben Jahr einen neuen Paß aus, der alte war abgelaufen. Sonst hätte er sich vermutlich nicht angemeldet. Die Adresse in der Hamburger Straße in Reinbek ist nur Formalie.«
Es war der Morgen nach dem Fest und der Tag vor der offiziellen Zeremonie. Alle in der Abteilung kamen zu spät zum Dienst, außer Proteo Laurenti, der gleich als erstes beim Questore vorsprach, um ihn über die Vorkommnisse ins Bild zu setzen. Es war absehbar, daß die nächtliche Verfolgungsjagd von den Medien aufgebauscht würde, und es war besser, Rückendeckung zu haben. Außerdem braute sich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt etwas zusammen, das, über den großen Prominentenauflauf am nächsten Tag hinaus eine Menge Kraft fordern würde.
Laurenti fühlte sich, als wäre er unter einen Lastwagen geraten.Er sehnte sich nach ruhigen Feiertagen, an denen er all den versäumten Schlaf nachholen könnte. Laura hatte ihm auf der Rückfahrt zwar keine Vorwürfe gemacht, aber ihr Gesichtsausdruck sprach für sich. Seit sechsundzwanzig Jahren war sie mit einem Polizisten verheiratet, dienstliche Anrufe gewöhnt, die sie nachts aus dem Schlaf holten, oder daß er mitten beim Essen aufsprang und davoneilte. Sie war sogar selbst einmal nur knapp einem Attentat entkommen, mit dem man eigentlich ihren Mann beseitigen wollte. Doch nie hatte sie Laurenti bei einem Einsatz begleitet. Sie hatte keine Angst gehabt, als er den Mercedes blockierte. Auf dem Heimweg ließ die Anspannung nach und eine schwere Müdigkeit überfiel sie. Als sie um vier Uhr nach Hause kamen, hantierte Marco in der Küche, seine Antworten waren kaum verständlich. Er lallte kichernd, daß er Mandelmilch mit frischem Ingwer ansetze, die seiner schwangeren Schwester das Sodbrennen lindern solle. Laura verzog sich wortlos ins Schlafzimmer, während Laurenti sich nur mit Mühe verkneifen konnte, seinem Sohn eine Standpauke zu halten, damit der endlich weniger trank und aufhörte zu kiffen. In diesem Zustand hätte er seinen Vater sowieso nicht ernst genommen.
»Kommandant Rožman hat angerufen«, fuhr Marietta fort. »Er fragt, ob du um die Mittagszeit nicht nach Sežana kommen möchtest, damit ihr die Formalitäten erledigen könnt.«
»Auch das noch.«
»Sie sind dabei, die Telefonnummern im Mobiltelefon dieses Calamizzi zu überprüfen. Die italienischen hab ich für ihn gecheckt. Und rat mal, wen ich gefunden habe?«
»Manfredi?«
»Ganz genau, Marzio Manfredi. Das letzte Gespräch führten sie am Dienstag morgen.«
»Und da hatte er bereits seine letzte Reise angetreten«, sagte Laurenti. »Aber ich muß sagen, Rožman weiß sich zuhelfen. Ein Anruf bei meiner Assistentin, und die üblichen Formalitäten eines Auskunftsgesuches im Ausland haben sich erübrigt.«
»Du kannst es genauso machen.« Marietta wedelte mit einem Zettel, den sie auf ihrem Schreibtisch vorgefunden hatte, noch bevor sie den Computer einschaltete. »Wir haben jetzt endlich auch die Auskünfte der Telefongesellschaften, was Manfredis Nummern betrifft. Nach den slowenischen kannst du Rožman fragen, wenn du ihn siehst. Aber bei den anderen wirst du Augen machen.« Marietta tippte auf ein paar Zeilen, die sie mit einem roten Marker unterlegt hatte. »Das sind alles Leute in Quarto Oggiaro, Mailands Problemviertel, in dem ’Ndrangheta und Camorra dirigieren und nicht die Lega Nord. Mich würde wundern, wenn die nicht auch den Drogenhandel in Triest lenkten und vielleicht gar jenseits der Grenze in Izola. Wenn die Anzeichen nicht täuschen, dann bist du ganz zufällig einem Riesending auf der Spur.«
»Was heißt hier zufällig«, protestierte Laurenti und ging die Liste weiter durch. »Das
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