Die Ruhe Des Staerkeren
aus Trebiciano vorbei. Die üblichen Neugierigen. Einer sagte, daß letzte Nacht eine Menge dicker Autos mit Kennzeichen verschiedenerLänder durchs Dorf fuhr. Er vermutete, daß es sich um Besucher des Spielkasinos in Lipizza handelte, die den Vorteil der freien Grenze nutzten, um schneller auf die Autobahn zu gelangen.«
»Und was ist mit dem Toten?« fragte Laurenti.
»Die Kleidung ist restlos verkohlt, sie gibt keine Anhaltspunkte. In den Taschen hatte er nichts. Den Zähnen nach zu schließen, sei der Mann zwischen dreißig und vierzig, sagte Zerial, mit etwas Glück findet er auch noch einen halben Fingerabdruck. Er lag auf der rechten Hand. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Übrigens haben wir eine kleine, nicht ganz verkohlte Ecke eines Reisepasses der EU gefunden. Unleserlich zwar, aber über die Gewebeanalyse läßt sich feststellen, aus welchem Land er stammt.«
»Wann?« fragte Laurenti.
»Im nächsten Jahr«, antwortete Alfieri. »Vor Weihnachten wird das nichts mehr.«
»Mach keine Witze«, sagte Laurenti. »Vielleicht haben wir den Täter bereits. Er sitzt drüben bei den Kollegen in Sežana. Laß mich nicht hängen, Alfieri.«
»Ich hab dich doch darum gebeten, mir keinen weiteren Fall mehr im alten Jahr zu servieren«, brummte der Kriminaltechniker und stapfte wieder davon. »Tote haben keine Eile.«
»Ich lebe aber noch«, rief ihm Laurenti hinterher. »Also gib dir Mühe.«
»Dicke Autos in Trebiciano«, sagte Pina, als sie neben ihrem Chef zum Wagen zurückhumpelte. »Davon hat mir in der Nacht niemand erzählt.«
»Dann fragen wir am besten die Leute selbst.«
Das anmutige, von Maulbeerbäumen umsäumte Dorf Trebiciano war berühmt für seinen Abgrund, der in engen Felsspalten zum unterirdischen Flußlauf des mythenumwobenen Timavo hinabführte, den bereits Vergil besungen hatte. Als man einst nach neuen Wasserläufen für die große Stadt amMeer forschte, entdeckte man dort unten ein kleines weißes Tierchen, eine hunderttausende Jahre alte Spezies, derentwegen Laurenti häufig hochgenommen wurde, als er noch neu in der Stadt war – den Grottenolm »Proteus Anguinus Laurentii«. Der Commissario war vor einigen Jahren einmal mit zwei kundigen Freunden mit Bergsteigerausrüstung und Grubenlampen in den Abgrund gestiegen, aber außer einem Muskelkater und der ersten Forelle seit hunderteinundvierzig Jahren hatten sie nichts an die Oberfläche gebracht. In der Stadt kannten die alten Leute das Karstdorf noch, weil die Frauen aus Trebiciano bis in die sechziger Jahre die Milch in eigens für die Kannen gefertigten Körben, die sie auf dem Kopf trugen, auf langen Fußmärschen hinabtransportierten. Dafür trafen sie sich auf dem Heimweg in einer Osteria und genehmigten sich ein Glas Wein, in Zeiten, als im Rest Europas sich noch keine Frau alleine in ein Lokal traute. Da unterschieden sie sich nicht von den Triestinerinnen. Heute gab es keine Kühe mehr im Dorf. Eine Redensart zur Beschreibung seiner Einwohner hielt sich aber: »Sie schnurren wie die Katzen um die Maulbeerbäume« – und in der Tat war das Emblem des Sportvereins ein schwarzer Katzenkopf.
Laurenti parkte auf dem Platz vor der Kirche, in dessen Mitte ein Monument stand, das an die Toten des Zweiten Weltkriegs erinnerte. Eine drei Meter hohe Stele aus dem verwitterten Kalkstein des Hochplateaus mit einer Tafel in slowenischer Sprache. Eine Frau, die auf einer Bank saß, übersetzte bereitwillig:
Die Toten werden zum Licht des neuen Tages,/eine rasch sich ausbreitende Flamme,/Symbol der Hoffnung,/die Kraft, die den Sturm besänftigt.
»Es wurde 1946 errichtet, in der Hoffnung, daß bessere Zeiten anbrechen, eine Zeit des Friedens«, sagte die Frau. »Und jetzt, da endlich die Grenze gefallen ist, trifft es vielleicht auch zu. Bis vier Uhr haben wir getanzt.«
Laurenti wies auf eine kleine Bar an der Hauptstraße, die auch Zigaretten verkaufte und Lotterieannahmestelle war. Pina kaufte ein Rubbellos und bestellte einen Espresso, Laurenti einen gespritzten Weißwein. Zwar bestätigten einige Gäste, schwere Autos schon früh am Abend gesehen zu haben, die in die kleine Straße einbogen, die zum Einstieg in die Höhle führte. Doch es hatte sich keiner darum gekümmert.
Sie fuhren beim Ortseingang auf einem geschotterten Weg an der Hütte der Speleologen und dann am Abgrund vorbei, bis sie Fahrspuren entdeckten, die über eine Wiese und durchs Gestrüpp führten, wo viele trockene Äste abgebrochen waren.
»Sie
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