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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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monumentalen Kuppeln des Hotels spazieren, stolzierte ehrfurchtslos durch die Vorhalle und an den Pfeilern mit der bunten Keramikverkleidung vorbei unter dem majestätischen Gewölbe mit verziertem Sternenhimmel hindurch in den Prunkhof mit seinem verschiebbaren Glasdach. Dann schwatzte sie ihrem Vater einen neuen, extravaganten Badeanzug ab und präsentierte sich im Wellenbad. Sie genoss eine Schlammbehandlung, bestellte anschließend eine Massage und hechelte nach Luft in der Heißluftkammer. Mondaine war im Wunderland angekommen! Die Badelandschaft des Gellért kam ihr vor wie ein zauberhaftes Labyrinth geheimnisvoller Welten, und bald kannte sie alle Wege, die quer durch den Hotelkoloss in die Hallen des Bades führten. Es war wie zu Hause: Ihre Gedanken waren am glücklichsten, wenn sie »im Flug« war, wie sie das nannte, wenn sie rannte, auf dem Pferd galoppierte, hüpfte, schwamm oder in einer Sonntagskutsche fuhr. Bewegung war ihr Elixier. Bewegung gab ihr Kraft, die Würfel immer wieder neu und alte Regeln über den Haufen zu werfen. Als Autodidaktin des guten Benehmens schaute sie den reichen Damen ab, was aktuell als Comment galt, und mischte es mit ihrer Wildheit, bewies ein Zutrauen in die Welt, das besonders zu jener Zeit, nach dem Krieg und der darauffolgenden Wirtschaftskrise, für viele Menschen schlicht erlösend wirkte.
    Im Hotel Gellért hatten sämtliche Livrierte der oberen Stockwerke, das heißt der Zimmer- und Salonetagen und des Terrassenrestaurants, gleich kurzgewachsen zu sein. Wohl, um als »Dienerschaft« durchzugehen, überlegte Mondaine. Im Eingangsbereich waren alle wie im Salatbeet gezüchtet um zwei Köpfe größer, Kofferträger und Prestigemodelle halt. Mondaine entdeckte, dass mindestens einer der Receptionsangestellten seine Schuhe mit Sohlen präpariert hatte, um auf die erforderliche Größe zu kommen. Sie verriet nichts und staunte heimlich. Die Frau im Aufzug, welcher das Hotel mit dem Bad verband, sprach als einzige Fremdsprache Englisch, und auch davon nur wenige Brocken, denn als Mondaine sie fragte: »So? Do you speak English?«, wiederholte diese mechanisch goodbye, have a nice evening, see you tomorrow und thank you thank you, so dass Mondaine das Kichern zurückhalten musste. Jedes ihrer Worte untermalte dieser weibliche Liftboy mit einer langsam ausgeführten, dienerischen Geste der Arme und des Rumpfes, verneigte sich wie bei einem Bühnenapplaus und lächelte grad ebenso wie ein Affe ein Menschenlächeln zu imitieren vermochte – »was so viel heißt, wie: Sie grimassiert, Papa! Die Haut in ihrem Gesicht ist voller Rillen, Falten und Risse, so etwas hast du noch nicht gesehen, Papa! Verrunzelungen bis hinunter zu ihrem Hals!«
    Budapest war eine moltonweiche Stadt für Leute wie die Schöns. Auf dem Gellérthügel wehte der Wind in Streifen, die Baumblätter wiegten sich zart und sicher, und über die Donau schlingerte ein Schiff, ein Übersetzboot, ein Dampfer. Die schweren Gerüche, welche den Odem dieser Stadt ausmachten, lagen hoch in der Luft und konnten eine feine Jungmädchennase wie die Mondaines nicht stören. Sie freute sich über jede Eidechse, die über die Monumente neuerer Bildhauerkunst huschte, und war begeistert vom Schein der Lampen, die der Donau Spalier standen: Tropfenvon Licht, die über dem Fluss wogten, und im Ohr das Rauschen der Birken.
     
    Zufrieden setzte sie sich mit dem Vater in den Wintergarten des Hotels Gellért. Sie platzierte sich unter einer der exotischen Palmen, fläzte sich in den Korbstuhl, verlor ihren Blick im Spiel des Springbrunnens und sinnierte über die nächste Postkarte, die sie der Schwester und der Mutter nach Hause schicken wollte. Nicht einmal dachte sie über die Frage nach, weshalb der Vater nur sie und niemals die ältere Schwester mit auf seine Reisen nahm. Es war ganz einfach eine Selbstverständlichkeit, in die Mondaine hineingewachsen, wenn nicht schon hineingeboren worden war: Sie war die mondäne Tochter, Margit die liebe graue Maus.
    Stündlich war Mondaine dabei, das große Leben für sich zu entdecken, glänzende Marmortische, hohe Decken mit kunstvoller Stukkatur, klirrende Leuchter schüchterten sie nicht ein – sie fühlte sich auch hier ganz Prinzessin. Beim Eingang zum Frühstücksraum stand jeweils ein schmucker Page, der die Zimmerschlüsselnummer der eintretenden Gäste umständlich in ein großes Buch notierte. Aber Mondaine nickte er einfach nur galant zu, fast schon ehrfurchtsvoll vor

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