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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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ein letztes Mal zusammen, setzte sich aufrecht auf ihren Stuhl und suchte. Irgendwo musste doch etwas Passendes zu finden sein. Sie suchte bis tief in die Nacht und den nächsten Morgen hinein.
    Und dann fand sie es. Ein Mann, der ein kleines, fast ein bisschen verschämtes, aber sicher preisbewusstes Inserat ins Blatt hatte setzen lassen mit dem Titel
Brieffreundschaft,
konnte keine so schlechte Wahl sein. Entschiedensetzte Alda den Füllfederhalter auf und schrieb in reinlichen Buchstaben und Worten ohne viel Schnickschnack einen ersten kurzen Brief an den Herrn. Am nächsten Morgen reichte sie ihn der Köchin mit einem Blick, der ihr tausend Tode versprach, wenn sie den Brief nicht ordnungsgemäß aufgeben würde. Und siehe: Die Antwort kam postwendend.
    »Ihr Brief enthält viel Sonne …«
    Esmeraldas Weichen waren gestellt.
    Eine regelmäßige Korrespondenz mit viel vernünftigem Austausch über politische Fragen der Zeit, Fragen der Gesundheit und Fragen zur Zukunft des Schweizer Volkes wurde für Alda lebensrettend in ihrem bedrückenden Barceloner Alltag.
     
    So kam es, dass sie wenige Monate später in Küsnacht am Zürichsee einem Zug entstieg, mit ihren flammenden Locken den Perron entlangschritt und ein darüber über alle Maßen erschrockener, aber Haltung wahrender Nunzio Senigaglia ihr beide Hände zur Begrüßung entgegenstreckte.
    »Hätten Sie in Ihren Briefen auch nur einen Fehler gemacht, liebes Fräulein, ich hätte Sie nicht gewollt.«

Prinzessli von Bern
    Bern/Budapest, 1931
    Zu ihrem fünfzehnten Geburtstag schenkte François Schön seiner Mondaine ein Pferd. Eine Kreuzung aus einer Hannoveranerstute und einem Holsteinerhengst, mit einem unfassbaren Stockmaß von 182. Sie nannte ihn Jumbo und verbrachte fortan jede freie Minute bei dem Pferd. Jumbo hatte eine lockige dunkelbraune Mähne, die im Sommer fast schwarz glänzte, und auch sein Schweif war imposant und wischte verwegen den Boden. Mit seiner Größe wäre er für den Springsport prädestiniert gewesen, aber Mondaine wollte nichts anderes und nichts mehr, als mit Jumbo die Kirchenfeldbrücke auf und ab zu reiten. Sie patroullierte mit ihm, und es machte ein Geräusch, das sie abends als Widerhall in ihren Ohren in den Schlaf begleitete und morgens als Ahnung süßer als jeder Lerchenweckruf aus den Federn springen ließ.
    Die Aare unter sich, einen Rundumblick von der kleinen Schanze zum Bundespalast, über das Palace Hotel Bellevue bis zur Matte, und wenn sie wollte, ritt sie bis nah an den Bärengraben heran und hoffte, Jumbo würde zumindest ein bisschen zu tänzeln anfangen, so dass sie allen Schaulustigen ihr Können vorführen durfte. Ausgerüstet mit Tweed, Seide und Leder, saß die Kleine hoch zu Ross und triumphierte.
    Keiner, der sie nicht gesehen hätte. Sie trabte am Rathaus und am Münster vorbei zum Zytgloggeturm in der Kornhausgasse, wo ihr Vater aus dem Geschäft und vor die Türe trat und wie ein Gockel mit geschwollenem Kamm verkündete:»Meine Tochter! Das ist mein Töchterchen, das da angeritten kommt!«
    Und wie sie weiterritt, blieb er noch lange stehen, senkrechter Einwohner dieses Landes, die Brust gewölbt und Hand auf Hand auf dem Silberknauf des Gehstocks, der sein neuester Modegag war. Mondaine aber, ab durch die Mitte, trieb ihren Jumbo im Spanischen Tritt über die Kornhausbrücke dem Kursaal zu, und überall sah sie die Frauen und die Männer in den Fenstern hängen und hörte ihre Stimmen, eingebildet oder echt: »Seht, da kommt es wieder angeritten, das Prinzessli vom Schön!«
    Ab und zu gelang es Mondaine, ihre Schwester vom Vater freizuschwatzen, um sie mitzunehmen. Vom Parlamentarier Lüthi durften sie den Wallach ausleihen, den stämmigen Percheron Laudatio, der eigentlich ein Kutschpferd war, aber gutmütig und so für die reitunerfahrene Mausi genau das richtige Tier. Zu zweit ritten sie dann durchs Mattequartier und konnten die Welt um sich herum und sich darin stundenlang vergessen.
    Dritter und mit von der Partie war der Schnauzer Bleufli, ein silbergrauer zweijähriger Rüde, der sich noch voll im Flegelalter wähnte und laut bellend und blaffend an den Pferden vorüber und hin und her stürmte. Bleufli gehörte ebenfalls Mondaine und war das Geburtstagsgeschenk von vor zwei Jahren.
    Gemeinsam ritten die ungleichen Schwestern an der Aare entlang, wo sie die Pferde galoppieren ließen und allfällige Spaziergänger, Pärchen auf der Suche nach etwas Zweisamkeit, mit lauten Rufen zur Seite

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