Die Ruhelosen
stieben.
Wenn es gelang, trafen sie sich beim Marzili heimlich mit Georg, einem jungen Zimmermann, den die Wanderjahre hierherverschlagen hatten. Mausi stieg dann von Laudatio ab, reichte die Zügel ihrer Schwester und verschwand mit Georg für die Dauer eines Kusses oder zwei hinter den Büschen.Vor lauter Glück glühend, war sie nach solchen Treffen auf dem Nachhauseritt für nichts mehr zu gebrauchen.
Mondaine freute sich für ihre Schwester, sie war ja sonst so streng gegen sich selbst, nahm kaum je frei und stand Tag für Tag in Vaters Geschäft. Sie war so geschickt im Perückenmachen, beherrschte perfekt das Gipsabnehmen, ging korrekt mit Maßband und Kundschaft um, verstand es vorbildlich, Papiermuster herzustellen, fand sich im Wirrwarr von Stirntampel, Seitentampel, Nackentampel, Oberkopf- und Scheitelpartie zurecht, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht, als Kopfformen zu erfassen und Perücken zu knüpfen, die tadellos saßen. Für Jonas, einen Jungen, der nach einem langen Krankenhausaufenthalt mit Brandnarben, die ihn ganz fürchterlich entstellten, von den besorgten Eltern zu ihnen gebracht worden war, fertigte Mausi Jahr für Jahr ein neues passendes Haarteil an, das man ihm über den Hautteilen fixieren konnte. Und schenkte ihm damit so etwas wie ein zweites Leben.
Das Perückenmachen war also Mausis Geschäft, derweil Mondaine dabei war, sich in der Kunst des Frisierens zu versuchen. Aber sie hatte ja noch Zeit.
Ab und zu besprach sie sich mit Pino, eigentlich Giuseppe Ciccioriccio, dem Sohn des Schneiders, der seinen Laden gleich gegenüber hatte, aber, wie François immer wieder boshaft feststellen musste, nur ein Stockwerk hoch und nicht wie er selbst drei. Mondaine und Pino waren sich mit den Jahren nähergekommen, denn besonders seit Mondaines Bruder nach Ende seines Militärdienstes zurück nach Südfrankreich gegangen war, um dort ein Leben aufzubauen – Vater fluchte und schimpfte darüber: So ein Nichtsnutz, will nichts lernen von mir, will alles besser wissen, und enterbte ihn –, fehlte Mondaine ein brüderlicher Ansprechpartner. Und so war es ihr grad recht gekommen,als Pino sie ins Bellevue auf einen Becher Eis eingeladen hatte. Auch Pino war der Meinung, dass aus Mondaine eine fabelhafte Friseuse werden könnte, und bestätigte ihr jedes Wort.
Sie sah aber auch immer aus wie eine, die man aus einem Modemagazin ausgeschnitten hatte. Ihr Vater musste Unmengen für sie ausgeben, sie trug die teuersten Stoffe, die modernsten Schnitte und die tollsten Hüte. Und ihr Haar wurde jede Saison getrimmt und in Form gebracht. Nie sah man Mondaine in dem graugrünen Kittel, in dem Mausi ihre Tage im Lager, beim Einräumen der Neuzugänge oder hinter dem Tresen verbrachte, überhaupt konnte sich eigentlich keiner so recht daran erinnern, Mondaine zweimal im selben Kleid gesehen zu haben. Mondaine war ganz und gar unmöglich für das Bern der frühen dreißiger Jahre. Sie war noch halb Kind und rauchte schon in aller Öffentlichkeit lange, dünne Zigaretten, die sie an endlose Zigarettenspitzen aus hellem Horn steckte. Sie war eine der ersten jungen Frauen, die sich im Restaurant für alle sichtbar die Lippen nachzog und die Nase puderte, sie ritt ein Pferd in Übergröße und schämte sich für nichts. Und genau dies wirkte auf ihre Umwelt so unerhört anziehend, keiner konnte ihrem Bann entgehen, und halb Bern versank in Trauer, wenn François Schön seine Jüngste mit sich auf Geschäftsreise nahm. Sie wussten nicht, was ihnen entging, aber sie ahnten es.
François Schön und seine Mondaine stiegen nur an den allerersten Adressen ab, residierten im Hotel Gellért in Budapest, zahlten etwas über 36 Pengő für ein Zweibettzimmer mit Bad und genossen das Leben der Hautevolee. Besonders diese Reisen nach Ungarn liebte Mondaine über alles, dafür ließ sie sogar Bleufli und Jumbo zurück – Mausi wird sich ganz hervorragend um euch kümmern, ich versicherees euch, und ich bin bald bald bald schon wieder da – und tauchte ein mit Haut und Haar in die Welt der Schönen und der Reichen.
Auf der Terrasse des Gellért-Wellenbades wurde der Fünfuhrtee von Tanz begleitet, und immer wieder erlebte sie das Glück eines Empfangs im Park oder eines Konzertes im Musiksaal. Vater Schön hatte allerlei Geschäftliches zu besprechen und ließ seine Tochter an langer Leine. Diese führte ihre Garderobe durch die feudalen Hallen, durch reichgegliederte Torbogen und unter den
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