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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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1935
    Liebes Mondaine
     
    Ich teile Dir mit, dass Du Donnerstag, den 31. Jan. Abend hier in Bern sein musst, um Freitagmorgen die Schule nicht ein zweites Mal zu fehlen.
    Wir haben die Sache betr. Pino Cicc. gründlich besprochen und sind zur Überzeugung gekommen, dass es für Dich von lebenswichtigem Interesse ist, die Lehre zu beenden, um den Lehrbrief zu erhalten, ansonsten die 2 ½ Jahr, die Du bereits gemacht hast, vergebens waren.
    In erster Linie wirst Du im Leben froh sein, einen Beruf zu haben, um Deinen Unterhalt selbst verdienen zu können und uns hierüber keine Vorwürfe zu machen.
    Ich nehme an, dass die 8 Tage genügten, Deinen Gram (»Kram«!) zu überwinden und dass Du mit Dir im Reinen bist, über das, was Du willst.
    Also frisch auf und los, ich erwarte Dich Donnerstag Abend um 8.18 am Bahnhof Bern.
    Grüße & Küsse Dich
    Papa
    sowie Mama und Mausi
     
    Beiliegend: Fr. 20.– für Heimreise und bezahle Fam. Andres, was Du schuldest, oder wenn Du nicht genügend Geld hast, so sollen sie sagen, was Du schuldest für diese Woche.
    Freundl. Grüße von uns allen an Fam. Andres
     
    Goppenstein
    ab: 18.33 = 6.33 abends
     
    Bern
    an: 20.18 = 8.18 abends
     
    Mondaine drehte das Blatt Papier um, ein gehäuselter Zettel eines Abreißblocks, keine Nachricht hinten. Die Büroklammer mit dem Zwanziger-Nötli daran hatte Rostspuren hinterlassen. Da, wo das »Vreneli« im Medaillon links vorne auf der Note ihre Zöpfe trug, war ein rötlich brauner Fleck. Als Umschlag hatte ihr Vater die übliche Geschäftsgarnitur genommen, ein feines hellgelbes Bütten mit blauer Faserung, hatte den Umschlag mit schwarzer Tinte wie zitternd – wütend? – beschriftet: Fräulein Mondaine Schön / per Adr. Familie Andres / im Hof / Kippel / Lötschental / Wallis und mit Rotlack versiegelt. FS prangte fett und unnachgiebig auf der Dreieckslasche des Umschlags. Den Namen ihres »verbotenen Freundes«, Giuseppe – Pino – Ciccioriccio, hatte er nicht einmal auszuschreiben gewagt.
    Den Brief hatte er offenbar am 29. Januar 1935 per Einschreiben in Bern 7 Kornhaus mit der Registriernummer 362 aufgegeben, Kippel hatte bereits am 30. Januar 1935 seinen Stempel draufgesetzt. Es schien, die Sache war im wahrsten Sinne des Wortes besiegelt.

das Wunderkind
    Arosa, 1935
    Ein Leporello. Vier Teile, nacheinander aufzufalten, einer für
Classique,
einer für
Tanz,
einer für
Bar
und ein vierter Teil für
Stimmung Stimmung:
Die neue Werbestrategie Abels – der sich seit seiner Rückkehr aus der Musikschule der Stadt Wien aus Gründen, über die er mit seinen Eltern nicht sprechen wollte, nicht mehr Israël, sondern in Anlehnung an den Namen einer großen deutschen Schauspielerin Ditrich nannte –, mit der er für sich und sein Orchester in Arosa eine Saison lang Engagements ergattern wollte in den Vielsternehotels der touristenfreundlichen alpinen Bilderbuchwelt, ging auf.
    Der Pianist, ein begnadeter Zeichner, hatte jedes Blatt des Leporellos mit einem passenden Schattenriss verschönt, bei
Classique
lauschten ein Mann und zwei Damen einem vierköpfigen Orchester, man spürte an ihrer Körperhaltung die Spannung, welche der Geigenbogen erzeugte, wenn er über die Saiten gezogen wird; bei
Tanz
hatte sich dasselbe Orchester in eine swingende Jazz-Combo verwandelt, der Mann bewegte sich nun ausgelassen mit einer der beiden Frauen; an der
Bar
fand man das Dreiergrüppchen wieder, entspannt, angenehm bespielt von einem einzelnen Violinisten, und bei
Stimmung Stimmung
schließlich sah man eine ausgelassene Gruppe von tanzenden und feiernden Menschen, die Hüte der Männer schon schief auf dem Kopf, eine Dame auf dem Bartresen sitzend, eine andere, die theatralisch die letzten Tropfen ihres Glases durch die Luft in ihren offenen Mund fallen ließ, und schließlichein Pärchen, das eng umschlungen tanzte zur Musik eines Geigers, dem die Haare mit vorgerückter Stunde schon etwas verwildert abstanden.
    Abel fand, in jeder dieser vier Vignetten klinge Musik, und er war stolz auf seinen Text, den er dazu hatte abdrucken lassen, auch wenn dieser sprachlich nicht einwandfrei sein mochte, so war es doch seiner:
     
    Solis – Caprices de Paganini; sämtliche Geigen-Konzerte von Bach, Sarasate, Kreisler usw.;
    Mit Ensemble – Vom Caprice Italien bis Traviata 2000 Stücke;
    Besetzung – Gesang, Violine, Accordeon, Saxophon, Klarinette, Contre Bass, Klavier, Jazz-Band, Flöte für Rumba usw.;
    Sprachen – Ungarisch, Slavisch, Englisch,

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