Die Ruhelosen
einmal war es zu einer Begegnung mit Menschen gekommen und später noch einmal. Immer gelang es ihr, rechtzeitig auszuweichen, sie rannte vor ihrer eigenen Furcht davon, bis sie sich wieder an nichts erinnerte und verdutzt die Welt um sich betrachtete. Nichts war an seinem rechten Ort, und sie war mittendrin.
In ihrem Bauch rumorte es. Ihr Schwanz zuckte.
In der Nähe einer Wiese suchte sie nach Schutz im Unterholz. Dort legte sie sich abgekämpft hin und wartete darauf,dass es Abend würde. Für sie ergab das Weitertrotten keinen Sinn. Aber das Liegenbleiben wollte ihr auch nicht recht gelingen. Immer wieder wellten Schauer der Entrüstung über ihr Fell, und sie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.
Noch nie war sie so einsam gewesen. So abgeschnitten von sich selbst und all ihren Instinkten, der Welt, wie sie sie einst kannte. Als ihr abends ein unbekannter würziger Geruch in die Nase stieg, erhob sie sich.
Vorsichtig, indem sie zuerst witterte, horchte, konzentriert schaute, maß sie die Ebene vor sich ab. Nicht viel, das auf einen Feind gedeutet hätte. Eigentlich nichts. Behutsam setzte sie die Pranken auf und näherte sich einem Holzverschlag. Aus diesem Stadel drang der Geruch. Verführerisch, fremd zwar, ja, aber doch verlockend. Probeweise scharrte sie an den Holzbalken und versuchte, sich Zugang ins Innere zu verschaffen.
Der Mond reflektierte ein eierschalenmattes Licht auf die Erde. Ein Käuzchen heiserte durch die Nacht. Sonst blieb alles still. Nur das Pantherweibchen, das roch, das offene Maul durch den Schnee schob und mit den Tatzen scharrte.
Sie hatte den Tag und die Nacht, die Welt um sich vergessen. Wusste nur noch eines: Hier drin musste etwas zu fressen sein. Sie probierte so lange, hineinzugelangen, bis die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont strichen. Also kroch sie unter den Stadel und fand in seinem Schutz einen wohlig weichen Erdboden, der ihre müden Glieder aufnahm wie ein Dschungelbett.
Als sie wieder aufwachte, war es schon zu spät. Ein Mensch mit seinem beißenden Gestank vernagelte soeben den Ausgang mit einem Brett. Laut, dumpf, tumb. Das Hämmern trieb ihr beinahe das letzte bisschen Verstand aus dem Gehirn. Sie geriet in Panik und drückte sich so weit in die Eckezurück, dass ihr die Knochen schmerzten. Dann war es ebenso plötzlich wieder still, und sie hörte, wie sich der Mensch von ihr entfernte. Ihre Furcht aber war zu groß, sie hatte Todesangst, und so traute sie sich nicht, sich zu bewegen, geschweige denn vorne am Brett zu kratzen. Sie saß in ihre Ecke gedrückt mit urinverklebtem Bauch und hechelndem Atem. Vielleicht, wenn die nächste Nacht kam, vielleicht an einem nächsten Tag, jetzt aber wollte sie nichts anderes, als sich auf dem Boden zusammenkauern, um möglichst im Erdreich zu verschwinden.
So war sie noch immer in ihrer Schockstarre gefangen, als sie den Menschen zurückkommen hörte. Ein Ruck ging durch ihren Körper, und voller Panik schoss sie gegen das Verschlagbrett. Dabei verletzte sie sich den Schädel an einem rostigen Nagel. Ein Stich, der ihr in den Kopf trieb, der sie rasend machte, eine Stimme, die lachte und sprach, eine Bedrohung, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Oder doch. Eine Erinnerung. Ein Schuss. Ein Schlag. Eine Holzkiste. Ein Käfig. Lärm, Menschen, unerträglicher Gestank.
Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg und konnte sich ja doch kaum drehen und bewegen in ihrem engen Verlies, als vorne der Mensch das Brett ein bisschen löste. Kopflos scharrten ihre Pranken in der hinteren Ecke, als sie etwas Heißes durchfuhr. In einer grenzenlosen Verwirrung merkte sie, dass sie ihre Hinterläufe nicht mehr recht bewegen konnte, und stimmte nun ein Jammern und ein Winseln an und krampfte nur noch mehr mit den Vorderpfoten. Sie sah ihre Jungen, wie ein furchtbarer Mensch sie von ihr wegnahm, und, als sie sich umdrehte, sah sie Licht!, Licht!, das unter dem Stadel zu ihr leuchtete, Licht!, und endlich sah sie ihn, den rettenden Ausweg, und sie kroch mit lahmen Hinterbeinen und einer klaffenden Wunde im Bauch, aus der ihr das Blut in Strömen floss, auf dieses Licht zu, jammerte und winselte tonlos, über ihren Rückenwellte sich ihr schorfiges Fell, das Pantherweibchen hob die Lefzen, roch den nahen Wald, empfing das Duften ihrer Jungen, zitterte mit ihrem Blick, als sie die Sonne über sich sah, den Himmel, und etwas Spitzes, das auf ihren Kopf zu und auf sie niedersauste.
acht Tage Bedenkzeit
Kippel im Lötschental,
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