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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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Migros-Wagen.«
    Nach dem Mittagessen, Kartoffelpüree mit Kalbsleberchen und Rotkohlsalat, machte sich Nunzio auf, seinen Eltern im Falken einen Besuch abzustatten. Alda kam es so vor, als hüpfte ihr Mann geradezu leichtfüßig die Treppenstufen hinunter, vom dritten Stock ins Parterre, als gings zu einem Plausch.
    Im Falken glänzte das Holztäfer und strahlten die Blumen auf den weiß gedeckten Tischen eine Atmosphäre der Unberührbarkeit aus. Einige Männer in Anzug und Krawatte waren noch ins Essen vertieft, am Stammtisch schwadronierten die üblichen nutzlosen Gesellen, und ein Pärchen, Mann und Frau, saß nah am Fenster und versuchte sich am italienischen Dessertgebäck. Hinter dem Tresen stand Guerrino Senigaglia, und von unten herauf kam aus der Küche, krummbeinig, stolz: Comsola Rodope. Ihr Blick schüttete Hagelgewitter aus allen Wolken, und die Reglosigkeit, mit der sein Vater ihm entgegen- und wie durch ihn hindurchblickte, bestätigte Nunzio, was er vermutet hatte: Die Fronten waren geschlossen, die Schlacht vorbei. Augenblicklich hörte das Gläserklirren auf, verharrten Messer und Gabel in der Bewegung und wurde die Zeit angehalten. Ein Zug hornte vom nahen Bahnhof, gab die baldige Abfahrt bekannt. Und Nunzio bekam seinen Auftritt. Trotzig schmunzelnd ging er auf die Eltern zu, das Kinn sieghaft vorgereckt – er wusste ja nicht, wie sehr er in genau dieser Haltung seinem Vater ähnelte, als der sich das erste Mal in seinem Leben hatte ablichten lassen, als Bezwinger der Grenzen, als Erster, der den Schritt ins Neuland gewagt hatte, bei seiner Ankunft in Herisau –, und sagte laut vernehmlich: »Enterbt hast du mich also? Wir sind noch vor Ostern weg. Ihr könnt euch schon jetzt umneue Mieterschaft kümmern – und um einen neuen Fahrer auch.«
    Damit drehte er auf dem Absatz um und stolzierte, klack, klack, klack, mit seinen schweren, metallbeschlagenen Schuhen über das Parkett und hinaus.
    Draußen schwang er die Türe zu seinem Austin 7 auf, einer schwarz-dunkelblauen Limousine, die, wenn man gut mit ihr umging, ein ganz flottes Tempo auf die Straße legte. Er zog die Türe schwungvoll zu. Das Knattern des Motors war das Letzte, was seine Eltern von ihm in dieser Sache hören sollten. Diese kleine Spritztour gönnte er sich nun.

der Gehörnte
    Wien, 25. Juni 1936
    So. War er also dahintergekommen. Sie und Pino trafen sich noch immer. Unter den Lauben. Hatte er es also gemerkt. Es schien, Vater und Tochter kommunizierten seither nur noch in Schriftstücken miteinander, in Zetteln, die er ihr unter der Türe durchschob, und Couverts, die sie für ihn an der Reception hinterlegte. Mondaines Hand zitterte. Sie konnte den Zettel nicht weglegen, aber mit jeder Minute, die sie ihn weiter festhielt, geriet ihr Herz, ihr Kopf, ihr ganzes Sein in immer noch größere Aufregung, Bestürzung. Sie stand da in ihrem Salon, einmal mehr zu Gast in einem Hotel, einmal mehr auf Geschäftsreise mit ihrem Herrn Papa, einmal mehr die schöne, strahlende, junge, nach Patchouli duftende Frau an seiner Seite, die gehofft hatte, dass alles wieder gut war zwischen ihnen, dass er sich geändert hatte und ihr wieder gut war, stand da wie entgeistert, wie wund geschlagen, und heulte Sturzbäche.
    Sie war ganz von Sinnen. Ihre Augen waren verschleiert, sie sah nichts mehr, spürte nichts mehr, wollte, sie wäre nie geboren.
     
    Offenbar hatte sie vor lauter Schrecken zu atmen aufgehört, das Zimmermädchen hatte sie ohnmächtig auf dem Boden liegend vorgefunden, in der Hand noch immer einen Briefbogen des Hotels, nachlässig mit Tinte bekritzelt in einer Schrift, die – so sah das zumindest für das Zimmermädchen aus – in Wut und Widerwille rückwärtsfiel, beinahe aus dem Blatt hinaus; die Neugierde hatte sich nichtbezwingen lassen, und so hatte das Zimmermädchen hastig, nachdem sie nach Hilfe geschellt hatte, den Brief überflogen, die Zeilen, den Fluch, den da ein Vater über sein Kind aussprach.
    Opfer des Charakters
    Opfer der Erziehung
    Mein armes Kind, verlierst Deine Heimat
    verlierst Dein Heim, verlierst vielleicht
    Deine innere Ruhe
    Wanderst ins Ungewisse.
    O’ Allmächtiger, hilf mir
    Dass ich nicht den Fluch gegen mein
    untreues und undankbares Kind ausspreche.
    Denn dieser gerechte Fluch des Vaters
    " " " " " Erzeugers
    würde mein Kind verfolgen auf jeden Schritt
    O’ Allmächtiger, hilf mir.
    Mondaine wusste nicht, vor wem sie sich mehr schämte: vor dem Zimmermädchen, das unter eiligst

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